Guerillastyle in den schottischen Highlands
Guerilladreh im Ausland? Das kann auch schief gehen. Noch dazu in den abgelegenen schottischen Highlands. Julian Dieterich drehte trotzdem mit kleinem Team seinen Kurzfilm „Unterwasser ist es still“ in Schottland. Ich sprach mit ihm über die nötige Vorbereitung und den Guerillastyle als kreative Entscheidung.
Wenn die Puzzleteile einer guten Idee ineinander fallen, hat man als Künstler manchmal keine Wahl. Man muss das jetzt machen, genau so. Nicht später, nicht anders, sondern jetzt und so. Wenn Julian Dieterich von seinem Kurzfilm „Unterwasser ist es still“ spricht, hat man das Gefühl, dies ist so ein Projekt. Dabei wirkt der 18-jährige Stuttgarter trotz seines jungen Alters nicht einen Hauch naiv. Zusammen mit seinem Team, bestehend aus Chiara Poma, Timo Kolb, Jonathan Müller und Joel Kaufhold wurde sehr genau abgewägt was das Projekt braucht. Und dann gemacht.
Schon seit frühen Jugendjahren drehen Dieterich, Kolb und Müller gemeinsam Filme. Schon damals war absehbar, dass die drei eine andere Idee vom Filmemachen haben, als ihre Altersgenossen. Wo sich ähnliche Gruppen im Teenageralter martialische „Wir-Spielen-Hollywood“-Namen geben, klingt ihr Signé schon stark nach Autorenfilm. Ihr Filmkollektiv heißt Lilablassblaukariert Filmproduktion. Erste Erfolge stellten sich mit den Stop-Motion-Streifen „Elch“ und „Hatter“ ein. Für letzteren gab es 2013 gar den Jugendvideopreis in der Kategorie Animation. Davon angestachelt, wollten sie auch mit dem nächsten Realfilm erfolgreich sein.
Warum nicht zwei Jungs?
So schrieb Dieterich mit Chiara Poma im Dezember 2013 das Drehbuch zu „Unterwasser ist es still“. Es handelt von einem jungen Pärchen, das sich in der Weite Schottlands das erste Mal mit der Enge der eigenen Beziehung und deren mangelnder Kommunikation konfrontiert sieht. „Ich fand es spannend, eine Beziehungsgeschichte mitten in der Natur zu erzählen“, so Dieterich. „Die beiden haben keinen Ausweg, die müssen miteinander klarkommen. Das war die Grundidee.“
Als Protagonisten wählten die beiden Autoren zwei junge Männer. „Ich habe mich gefragt: Warum sind das im Film eigentlich immer Heteropärchen? Warum sind das nicht einfach zwei Jungs?“ Als speziell schwules Projekt möchte er den Film nicht verstanden wissen. Laut Dieterich soll das keine Besonderheit, sondern eine Selbstverständlichkeit sein: „Nur dann kann eine Gleichberechtigung und Akzeptanz stattfinden, wenn das selbstverständlich ist und homosexuelle Figuren nicht immer nur als Problemcharaktere dargestellt werden, die sich von der Brücke stürzen. Die beiden Jungs haben auch ihre Probleme, aber das ist etwas Alltägliches.“
Bei diesem Projekt wollten die drei Jungfilmer auf jeden Fall professioneller werden. Nachdem das Team um Chiara Poma und Ko-Produzent Joel Kaufhold erweitert war, machte sich das Team auf die Suche nach Schauspielern. Dieterich kannte von einem früheren Projekt bereits Filip Roch Januchowski, der sofort Lust auf den Film hatte. Der Drehort war durch das Buch bereits in den schottischen Highlands gesetzt. Um die Reisekosten von Deutschland nach Schottland klein zu halten, beschlossen die Filmemacher, den zweiten Schauspieler mit einem Schotten zu besetzen. Und beschlossen gleich, keinen der beiden zu synchronisieren. Es gibt eh nicht viel Dialog in dem Film. Doch Dieterich hat noch einen weiteren Grund: „Eigentlich unterstützt diese Bilingualität auch die Grundthematik des Films, die Kommunikation, die nicht so recht gelingt, weil sie auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet.“ Im Film spricht also jeder in seiner Heimatsprache. Eine mutige Entscheidung, die zwar schräg anmutet, aber im Film außerordentlich gut funktioniert.
Casting per Skype
Doch wie sollten sie an einen schottischen Schauspieler heran kommen? Das Team setzte sich hin und formulierte einen englischsprachigen Aushang, den sie mit Bitte um Veröffentlichung am schwarzen Brett an sämtliche schottischen Schauspielschulen schickten. Nur vom Royal Conservatoire of Scotland kam Antwort. Laurence Scott, genannt Laurie, hatte Lust mitzumachen. Die Stuttgarter Truppe organisierte ein kurzes Casting per Skype und war begeistert. Die Schauspieler waren gefunden.
An der gleichen Hochschule fand das Team seine Kamerafrau. Auch Gwennlian Thurstan studierte zu der Zeit am Royal Conservatoire of Scotland und meldete sich auf einen weiteren Aushang mit Kamerathema. In ihrer Vita wurde Dieterich darauf aufmerksam, dass sie schon mit Laurie Scott gedreht hatte: „Das passte sehr gut!“ Tatsächlich traf das deutsche Drehteam erst kurz vor Drehbeginn auf ihre schottischen Kollegen. Die zeigten sich aber absolut begeistert davon, dass ein paar junge, deutsche Filmemacher extra nach Schottland kommen um dort zu drehen. „Die Zusammenarbeit war sehr professionell!“
Bevor es dazu kommen konnte, stellte sich noch die Frage nach dem Budget. Von der Stadt Stuttgart gab es aus dem Projektmittelfonds 1000 Euro, 6000 Euro kratzten die Teammitglieder aus eigener Tasche zusammen. Doch es fehlte noch etwas. „Wir wollten den professionellen Teammitgliedern vernünftige Verpflegung und Unterkunft bieten“, erklärt Dieterich. Außerdem planten sie, das Tonequipment für die Drehzeit dazu zu mieten. Also starteten die fünf angehenden Filmemacher kurzerhand eine Crowdfunding-Kampagne auf Startnext.com. „Wir wollten von Anfang an ein realistisches Ziel haben“, erinnert sich der Regisseur. 2000 Euro kamen so nochmal zusammen, laut Dieterich hauptsächlich aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. „Im Nachhinein hätten wir vielleicht etwas höher pokern können, aber wir sind zufrieden, dass es geklappt hat.“ In dem dadurch auf rund 8000 Euro angewachsenen Budget war alles enthalten, sogar die Flüge nach Schottland.
Kleines Besteck
Das Team flog Anfang August 2014 nach Glasgow und brach von dort in die Highlands auf. Joel Kaufhold blieb in Stuttgart, dafür stieß für die Dreharbeiten Maximilian Müller als Data Wrangler dazu. Als Kamera wählte die Stuttgarter Crew die Canon EOS 5D Mark II, da sie klein und flexibel ist, ein Vinten 6er-Stativ und ein Schulter-Rig von Redrock micro sollten für Stabilisierung sorgen. Die Optiken waren allesamt aus dem Hause Canon, um die größtmögliche Kompatibilität zu gewährleisten. Zwei Festbrennweiten in 50 mm und 100 mm waren mit von der Partie. Hinzu kamen zwei Zooms, ein 17-40-mm-Weitwinkel und der Allrounder 24-105 mm. Für den Ton wurden das Sennheiser MKH 416 mit einer Rode-Mikroangel eingesetzt. Der Sound Devices 744T, ein 4-Track-Feldrekorder, kam zur Live-Abmischung und Aufnahme zum Einsatz.
Die erste Woche verbrachten die Filmemacher auf einem Campingplatz von dem sie zum Location Scouting aufbrachen. Aufgrund der Kürze der Vorbereitungszeit und des geringen Budgets war es so nicht möglich, sich vorher um Genehmigungen für den Dreh zu kümmern. Das wäre selbst bei einem frühen Scouting schwer geworden. Julian Dieterich erklärt, warum: „Es ist in den Highlands nicht so übersichtlich, wem welches Grundstück gehört.“
Gerade noch gut gegangen
Zwar kann man über Scotland’s Screen Commission Beratung zu Genehmigungen erhalten. Doch eine extra Scoutingreise wäre für das junge Team zu teuer gewesen. „Wahrscheinlich ist es nicht schlecht, sich eine Drehgenehmigung einzuholen. Aber da wir immer so ein bisschen guerillamäßig losgezogen sind, haben wir das vernachlässigt.“ Das ging in diesem Fall größtenteils gut. Nur einmal stellte eine Bäuerin gar ihren Traktor quer, um die Filmemacher am Weiterfahren zu hindern. Sie vermutete, hier entstünde ein kommerzieller Film ohne ihre Genehmigung. Eine halbe Stunde geduldiger Erklärung später jedoch war sie überzeugt, dass das nicht der Fall ist.
Andere Anwohner waren sogar sehr hilfsbereit. Ausgerechnet am ersten Drehtag blieb das Team mit dem Mietwagen auf der unbefestigten Straße im Schlamm stecken. Ein Farmer half mit seinem Fahrzeug und sicherte so den planmäßigen Ablauf. Diesen Plan hatten Dieterich und sein Team sehr großzügig gestaltet. Verzögerungen für lange Fußwege und Wetterumschwünge waren eingerechnet. Auch extra Zeit für den ebenfalls in Schottland dazu gemieteten Drohnenpiloten war vorgesehen. Pete Maughan kam mit seinem Oktokopter in die Highlands und schoss eine Szene aus luftiger Höhe. Sieben Tage waren für den Drehabschnitt veranschlagt, am Ende brauchten die Stuttgarter nur fünf und hängten noch zwei Tage Erholung dran.
Das einzige, was Dieterich heute etwas anders machen würde, wäre die Vorbereitungszeit zu verlängern. Die Größe des Teams und die daraus resultierende Flexibilität waren seiner Meinung nach Stoff und Projekt angemessen. „Dieses Guerillamäßige hat auch seinen Reiz“, sagt der Regisseur. „Das sollte man gar nicht so verdammen. Gerade, wenn es nicht um viel Geld geht und keine Produktionsfirma dahinter steht, kann man das auch mal wagen. Das führt vielleicht auch zu ganz neuen Ergebnissen.“ Dennoch rät er jedem, die nötigen Genehmigungen einzuholen. Denn was nützt das schönste Material, wenn eine saftige Strafe das Budget sprengt.
Lest hier, wie man in Schottland korrekte Drehgenehmigungen erhält! Ich sprach dazu mit David Taylor, Location Manager bei „Under the skin“ und schottischer Location Scout von „World War Z“.
Teichfolie und Scheinwerfer
Glücklicherweise kam das Team ohne Repressalien nach 14 Tagen heil und erschöpft wieder in Deutschland an. Der Highlands-Dreh war abgeschlossen. Jetzt lag eine besondere Herausforderung vor den jungen Filmern: Ein Unterwasser-Dreh für die thematische Klammer des Films. Dafür wählten sie das Garten-Hallenbad in Maichingen in der Nähe von Stuttgart. Nach Badeschluss durften sie in die Halle. Für die Kamera hatte Dieterich ein Unterwasser-Gehäuse der Firma Ikelite besorgt. Darin war die 5D Mark III sicher und alle wichtigen Funktionen konnten von außen durch mechanische Übertragung erreicht werden.
Um die hell gekachelte Wand des Beckens nicht im Bild zu haben, hatten Dieterich und sein Team dunkle Teichfolie auf Ebay gekauft. Diese ließen sie ins Wasser und stellten am Beckenrand einen Scheinwerfer auf – natürlich gesichert. So hatten sie einen dunklen Hintergrund und einen leichten Lichtschimmer auf den Luftbläschen und der Haut der Schwimmer im Wasser. Dafür Filip Roch Januchowski und Laurie Scott erneut nach Stuttgart zu fliegen, hätte nicht in die Kalkulation gepasst. So hielt Julian Dieterich, der hier selbst die Kamera übernahm, die Gesichter der Stand-Ins aus dem Bild – was sehr gut klappte. Mit dem Auftauchen Dieterichs war „Unterwasser ist es still“ abgedreht.
Dann ging es in den Schnitt, den auch der Regisseur übernahm. In der Postproduktion wurde ein wenig an den Farben gedreht. Dieterich selbst ist aber kein großer Freund von großer Bearbeitung. Noch ein wenig VFX-Retusche von Bastian Gugliuzza für die eine oder andere weiße Hallenbadkante und fertig war der Schnitt. Der Komponist Phil Nylund versah das ganze noch mit einem ruhigen, mesmerisierenden Piano-Sondtrack.
Jetzt geht Dieterich mit dem 17-Minüter erstmal auf Festivaltour. Erster Stopp ist das FiSH-Festival in Rostock vom 23. bis 26. April 2015. Darauf freut sich das Team besonders, da dort die Jury nach der Filmsichtung auf der Bühne offen diskutiert. Eine spannende Erfahrung. Außerdem werden jetzt DVDs gepresst, um die Unterstützer von Startnext mit Filmkopien zu versorgen. Und was nimmt Dieterich persönlich vom Filmdreh in Schottland mit? Da muss der Jungfilmer nicht lange nachdenken: „Allein schon das Erlebnis, da hinzugehen und dort einen Film zu machen, das hat uns allen so einen Spaß bereitet und so viel weiter gebracht. Schon allein deswegen war es ein gutes Projekt!“
- Die Lilablassblaukariert Filmproduktion im Netz: www.lilablassblaukariert.de
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- Das FiSH-Festival in Rostock: http://fish-festival.de/
- Die Crowdfunding-Kampagne auf Startnext.com: „Unterwasser ist es still“-Crowdfunding
- Fotos: Lilablassblaukariert Filmproduktion, Julian Dieterich