Die Doku als persönliches Anliegen: Christian Mertens‘ „Peter Nagel“

Es gibt Themen, die lassen einen nicht los. Das muss gar nichts Schlimmes sein. Manchmal ist es einfach ein Bild. So ging es Regisseur Christian Mertens. Für seinen aktuellen Film porträtierte er den Kieler Künstler Peter Nagel. Mich hat interessiert, wie man einen solchen Dokumentarfilm produziert, also sprach ich mit dem Regisseur und seiner Produzentin Jessica Landt.

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Gemeinsamer Bezugspunkt Deckengemälde: Künstler Peter Nagel und Regisseur Christian Mertens – Filmstill: © Beleza Film

Manche Dinge sind größer, als man selbst. Deckengemälde zum Beispiel. Der Regisseur Christian Mertens ging unter einem solchen sechs Jahre zur Schule. Das Kunstwerk prangt noch immer im Foyer der heutigen Leif Eriksson Gemeinschaftsschule des Bildungszentrums in Kiel-Mettenhof. Es faszinierte ihn, es verstörte ihn, es ließ ihn nicht los. Als er 2011 auf der Suche nach einem neuen Filmthema war, hing es plötzlich wieder über ihm. Also beschloss er, diesem Bild nachzuspüren. Und dem Künstler, der es geschaffen hatte. Keine fünf Minuten später hatte er bereits Peter Nagel am Telefon. Der Maler hatte das Kunstwerk Mitte der 1970er Jahre an die Decke der Bildungseinrichtung gebracht. Nagel musste zu einer Teilnahme an dem Projekt nicht überredet werden. Für den HFF-Potsdam-Absolventen Mertens wurde der Dreh nicht nur zu einer Reise in seine Vergangenheit, sondern auch zu einer neuen Erfahrung als Filmemacher.

Freiheiten nutzen

2011 hatte der Wahlberliner das Bedürfnis mal wieder etwas in seiner Heimat Schleswig-Holstein zu machen. „Man hat ja als Filmemacher mehr Freiheiten, als man im Alltag spürt. Das muss ich ausnutzen, mich mit dem zu beschäftigen, worauf ich Bock habe“, erläutert der Regisseur. Seine Idee war es, das Deckengemälde in seiner alten Schule als Einstieg zu nutzen, um den Kieler Künstler Peter Nagel zu porträtieren. Nagels Lebens- und Schaffensweg sollte nach gezeichnet werden, Weggefährten aus dessen Künstlerkollektiv Zebra sollten zu Wort kommen, sowie Kunstkenner, Museumsdirektoren oder der Schleswig-Holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig. In dessen Staatskanzlei hängen nämlich einige Werke des in Schleswig-Holstein sehr bekannten Künstlers. Schließlich wollte Mertens Peter Nagel an seine alte Schule zurückbringen und den Maler mit Schülern eines 12. Jahrgangs einen Workshop veranstalten lassen.

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Das Deckengemälde im Bildungszentrum Mettenhof. – Filmstill: © Beleza Film

Ungewohnt ist, dass Mertens erstmals selbst durch seinen Film führt. Bei Auftragsproduktionen, wie für den NDR, ist das selten gewünscht. Hier war das anders. „Wir wollten, dass jeder diesen Film verstehen kann“, sagt Mertens. Er wollte als eine Art Türöffner fungieren, der den Zuschauer mit in die Welt des Künstlers und die Zeit, zu der das Bild entstand, mit nimmt. Dafür musste er bisweilen auch naiver fragen, als er es aufgrund seiner Recherche war. Das nahm er aber für die Verständlichkeit in Kauf. „Ich hatte den Eindruck, bei Künstlerbiografien wird immer von einem hohen Grundwissen ausgegangen. Plötzlich verlierst du aber Zuschauer, weil du nicht transparent machst, mit wem du gerade redest oder wo du dich im Film gerade befindest.“

Finanzierung mit Trailer

Über das Konzept befand sich Mertens im stetigen Austausch mit seinen Produzenten. Jessica Landt und Falk Nagel von Beleza Film kannte er von früheren Projekten. Für den Klett Verlag hatten sie bereits seit 2007 gemeinsam Projekte umgesetzt. Jetzt sollte der erste so persönliche Dokumentarfilm folgen. Zur Finanzierung durchaus schwieriges Terrain. Von Anfang an war eine Länge von rund 60 Minuten angepeilt. Das war durch ein reines Nebenherprojekt nicht zu finanzieren. „Wir sind das in Stufen angegangen“, erinnert sich Jessica Landt. „Wir haben zunächst eine Entwicklungsförderung bekommen. Dann konnten wir anfangen, einen Trailer zu drehen und schließlich zu gucken, wie wir weiter kommen – ob wir eine weitere Finanzierung für das Projekt bekommen.“

Die Entwicklungsförderung in Höhe von 5.000 Euro erhielt das Team Im Dezember 2012 von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) aus dem Fördertopf der Filmwerkstatt Kiel, der vor allem regionale Projekte unterstützt. Im Juni 2013 folgte dann die Produktionsförderung über 15.000 Euro. Zudem holten die Macher die Kulturstiftung Schleswig-Holstein ins Boot. „Wir wussten, dass wir eine gewisse Anzahl an Drehtagen finanziert kriegen müssen, um das überhaupt machen zu können. Jeder von uns wusste, wie zeitaufwändig das wird. Wir konnten nicht vollständig ohne Gage an diesem Projekt arbeiten, man muss ja von irgendwas leben“, so Christian Mertens. Leider war schon früh klar, dass kein Sender, nicht mal der Norddeutsche Rundfunk, einsteigen würde. „Für die war es zu wenig Reportage“, sagt Jessica Landt. „Wir sind genau durch alle Redaktionen durchgefallen, mit diesem sehr individuellen, kreativen Ansatz.“

Reise in die Vergangenheit und erstmals der eigene Protagonist: Christian Mertens. - Filmstill: © Beleza Film

Reise in die Vergangenheit und erstmals im eigenen Film: Christian Mertens. – Filmstill: © Beleza Film

Kleines Team

Durch das geringe Budget musste alles an nur sechs Drehtagen umgesetzt werden. Das erforderte ein eingespieltes Team. Mertens holte als Kameramann Till Vielrose dazu. Mit ihm hatte der Regisseur bereits Kinowerbung, Dokumentationen für den NDR und zahlreiche Musikvideos gedreht. „Dadurch, dass ich Tills Blick in der Situation kenne, haben wir nur darüber gesprochen, wie ich mich bewege, wo ich den Interviewpartner quasi hinführe und positioniere. Und dann haben wir leicht über die Achsen gesprochen, wie wir die anlegen.“ Eine klare Auflösung, wie bei einem fiktionalen Projekt, gab es laut Mertens nicht: „Till hat zum Beispiel immer darauf geachtet, dass er sich an meine Bewegung koppelt. Er hat auch meine Sicht stärker eingenommen, als die Sicht der Leute, die ich interviewe. Solche Grundsatzentscheidungen haben wir getroffen.“

Das Team blieb klein, um die Interview-Situationen so familiär wie möglich zu halten. Neben Vielrose waren nur noch Ton-Leute zusätzlich am Set. Von den beiden Produzenten war beim Dreh zwar immer einer dabei, der zog sich jedoch auch zurück, wenn es angemessen war. Von den Interviewpartner gab es keine einzige Absage, im Gegenteil mussten die Macher sich eher beschränken. Mertens hätte gerne noch den einen oder anderen weiteren Experten interviewt, doch das war in der kurzen Zeit nicht unterzubringen. Sein Fragenkatalog war bei allen nahezu gleich. Das hatte auch den Vorteil, dass er die unterschiedlichen Gesprächspartner zu den gleichen Themen im Schnitt miteinander verknüpfen konnte. Hinzu kamen dann die spontanen Szenen, die zwar vor geplant aber in ihrem Ablauf nicht festgelegt waren. Hier hatte Mertens einen Aspekt, auf den er hinaus wollte und steuerte das Gespräch nach etwa ein, zwei Minuten zu diesem Aspekt. Andere Situationen ließen sich weniger gut im Griff haben. Das wiederum war aber die Idee dahinter.

Spannende Drehsituation im Bildungszentrum. - Filmstill: © Beleza Film

Spannende Drehsituation im Bildungszentrum. – Filmstill: © Beleza Film

Noch mehr Freiheit

Zum jetzigen Beginn des Films besucht Mertens seine alte Schule und legt sich in der Pause mit ein paar Decken mitten auf den Boden des Foyers, um sich das Deckengemälde anzugucken. Um ihn herum dutzende Kinder, die er einlädt, das Bild zu bewundern. Tatsächlich gesellen sich einige zu ihm und sprechen über das Bild. „Also, wir wussten auch nicht, was passiert. Das ist auch eine Form von Freiheit, die ich geil finde“, so Regisseur Mertens. „Die Minuten, als wir da mit der Kamera ankamen, waren sehr krass. Ich habe die Situation wie in einem Tunnel erlebt, weil wir nicht wussten, flippen die Schüler aus? Springen die uns vor der Kamera rum?“ Eine Absprache während des Drehs der Szene war mit Kameramann Vielrose nicht möglich. Hier kam den beiden zu Gute, dass sie schon oft zusammen gearbeitet haben.

Eine gänzlich andere Drehsituation erwartete das Team beim Schulworkshop mit Peter Nagel. Für den Film hatten Mertens und Landt Kontakt zu Schulleitung und Kunstlehrern gesucht. Die Filmemacher wollten den Künstler zurück an die Schule bringen, um damit den dramaturgischen Bogen des Films zu schließen. Obwohl zu diesem Zeitpunkt im Frühjahr/Sommer 2013 noch nicht klar war, dass das Projekt gefördert würde und stattfinden kann, stimmte die Schule zu und fand in Gabriele Lorbach eine Kunst-Lehrerin, die begeistert vom Projekt war und ihren Unterricht eines Halbjahres darauf ausrichtete. Produzentin Jessica Landt betont: „Das ist der schwierige Part beim Machen einer Doku, den man oft wieder vergisst: Wir müssen etwas eintakten, ohne die Sicherheit zu haben, wann oder ob wir drehen können.“ Regisseur Mertens fügt hinzu: „Es war toll, dass die Schule gesagt hat, wir leben mit dem Risiko, dass das vielleicht gar nichts wird.“

Inhaltliche und formale Stolpersteine

Bei der kurzen Drehzeit war vor allem wichtig, die verschiedenen Elemente klar vor zu planen und in der vorgegebenen Zeit abzudrehen. Das konnte schonmal mit der angestrebten freundschaftlichen Atmosphäre zwischen Team und Interviewpartnern kollidieren. „Bei aller Entspanntheit sind wir da auch sehr streng mit uns selbst und mit dem was wir machen.“ Dazu gehörte auch, nicht allen Gesprächspartnern das komplette Konzept des Filmes zu erklären. Jeder wusste, es geht um die Arbeit Nagels und die Darstellung der Kunstszene um ihn herum, zu Beginn seiner Karriere. Mertens erklärt, warum: „Wir sind ja auf Entdeckungsreise gegangen. Plötzlich merkst du, dass der Film sich beim Drehen oder beim Schnitt nochmal um 90 Grad dreht. Und dann hast du den anderen aber schon einen ganz anderen Film versprochen. Und das ist sehr hinderlich.“

Regisseur Christian Mertens (Mitte) im Gespräch mit Peter Nagel und dessen Frau Hanne Nagel-Axelsen, ebenfalls Künstlerin. - Filmstill: © Beleza Film

Regisseur Christian Mertens (Mitte) im Gespräch mit Peter Nagel und dessen Frau Hanne Nagel-Axelsen, ebenfalls Künstlerin. – Filmstill: © Beleza Film

Zudem hält es davon ab, investigativer zu werden. Das war zwar bei „Peter Nagel“ nicht Zweck des Films, kann aber bei polarisierenden Themen problematisch sein, wenn der Gegenüber sich nicht öffnet. Noch schlimmer ist laut Mertens nur, wenn Mitwirkende dem Filmemacher dabei „helfen wollen“ einen guten Film zu machen. „Dann kannst du oft die Statements nicht benutzen, weil sie widerstands- und kontrastlos sind. Das erinnert mich dann an die Fußballerinterviews nach dem Spiel.“

Der Film entscheidet

Im Schnitt war die Herausforderung, mit dem im November 2013 und Januar 2014 an sechs Tagen gedrehten Material eine längere Reise zu erzählen. „Ich weiß auch nicht, ob wir wahnsinnig viel mehr gedreht hätten, wenn wir mehr Budget gehabt hätten“, sagt Jessica Landt. Mertens war mit seiner Rolle als Türöffner zufrieden: „Der Unterschied zu dem, was ich bisher gemacht habe, war gar nicht so groß für mich, weil für mich Film in aller erste Linie von einer Erzählstruktur geprägt ist. Ob ich da mitspiele oder nicht, war für die Erzählung des Filmes letztlich egal.“ Dennoch überließ er in den Szenen mit ihm selbst die finale Entscheidung seinem Editor Marc Hofmeister, wieviel von ihm im Film ist. Produzentin Landt ist sich sogar sicher: „Der Film hat das mehr entscheiden, als wir.“

Mertens taucht ja am Anfang auf, führt also den Zuschauer an das Thema Peter Nagel und in die Kunstszene Kiels ein, dann tritt er im Mittelteil in den Hintergrund, um dann am Ende wieder präsenter zu werden und den Abschluss zu präsentieren. Es war eher so, dass es im Schnitt Überlegungen gab, wie Mertens im Mittelteil dennoch als Anstifter präsent gehalten werden kann. Hier half, dass er auch als Sprecher aus dem Off agiert und den Film erzählt. Die finale Schnittfassung ist rund 54 Minuten lang. Damit ist die Dokumentation gut geeignet für einstündige TV-Slots. „Es ist mit dem Material auch gut machbar, eine 45 oder 30 Minuten-Fassung zu schneiden“, sagt Jessica Landt.

Der Künstler Peter Nagel bei der Arbeit. - Foto: © Christian Mertens/Beleza Film

Der Künstler Peter Nagel bei der Arbeit. – Foto: © Christian Mertens/Beleza Film

Neue Termine und DVD

Für die Auswertung stehen im Herbst und Winter Termine in Kiel an, mit kommunalen Kinos und Museen, die Werke der im Film auftauchenden Künstler ausstellen wünschen sich die Filmemacher Kooperationen. Aktuelle und kommende Termine gibt es bei Beleza Film auf der Webseite. Auch eine Veröffentlichung auf einer Online-Filmplattform halten sie für denkbar. Interessierte können den Film auch auf DVD erhalten, über die E-Mail-Adresse info_(ät)_belezafilm_(punkt)_de. Mit der Antwort kommen dann alle Informationen zum Bestellablauf.

Aktuell entwickeln Jessica Landt und ihr Kollege Falk Nagel mit der Beleza Film unter anderem zwei Projekte über Krisenregionen. Christian Mertens hat gerade eine weitere Auftragsproduktion abgedreht und widmet sich der Stoffentwicklung. Unter anderem bereitet er sein nächstes Projekt vor, das mit seiner Heimat, dem Kieler Stadtteil Mettenhof zu tun haben wird. Außerdem bringt er am 27. September zum wiederholten Male gemeinsam mit dem Regisseur Dietrich Brüggemann den höchst unterhaltsamen „Musikvideoabend“ auf die Bühne des Hamburger Knust.

PETER NAGEL Trailer from Beleza Film on Vimeo.

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