Ein Rückblick auf „Die Seriale“ – 1. IndieSerienFestival

Die deutsche Serie, ein Jammertal? Mitnichten. Das bewies Die Seriale 2015, das erste Festival für Indieserien, am 12. und 13. Juni 2015 in Gießen. In 18 Beiträgen zeigte die Szene einmal mehr, dass Innovation aus den Reihen derer kommt, die eigentlich kein Geld haben, sich diese Eigenentwicklung zu leisten. Der Autor dieses Artikels hatte die große Ehre, in der Jury zu sitzen. Ein subjektiver Erfahrungsbericht.

ds-plakat-din-a-3-print.inddMan kann heutzutage kein Brot mehr kaufen, ohne mindestens drei ungefragte Empfehlungen für Serien über Inthronisierungsintrigen oder Drogenküchentragödien einzufahren. Die Formate sind selbstredend aus US-amerikanischer Produktion, vielleicht ist mal ein britischer Deduktionsderwisch darunter. Denn hierzulande wird das Potential einer Formatentwicklung nicht vom Stoff, sondern vom Senderbudget bestimmt. Dass die Lage ernst sein muss, zeigt sich daran, dass sogar in Förderinstitutionen und Sendern Stimmen laut werden, die „gute, deutsche Serien“ anmahnen. Da möchte man lakonisch mit Loriot antworten: „Ach was.“

Nicht etwa, weil es nichts Innovatives in diesem Bereich gäbe. „Der Tatortreiniger“ von Arne Feldhusen und Mizzi Meyer sowie „Im Angesicht des Verbrechens“ von Dominik Graf sind lobenswerte Beispiele für genuin deutsche Stoffe, die hervorragend produziert wurden. Doch allein deren gleichgültige Platzierung im Programm lässt tief in die Senderseele blicken. Woher also soll Neues kommen? Ihr ahnt es. Von dort, wo es eigentlich gar kein Geld für Entwicklungen gibt. Aus der Indieszene. In den letzten Jahren wurden mehr und mehr unabhängige Serien produziert, die vornehmlich für das Netz gemacht wurden. Wenn sie – meist aus Mangel an Geld und Zeit für’s Marketing – nicht viral wurden oder keine prominente Unterstützung hatten (also Christian Ulmen) hatte selbst der interessierte Zuschauer wenig Chancen, ihnen online über den Weg zu laufen. Wäre es da nicht klasse, wenn es jemanden gäbe, der die Serien alle an einen Ort und ihre Macher an einen Tisch bringt? Ja. Und es ist nicht nur einer.

Vorstellungen 3+4 am samstag, Feier im Bootshaus

Vorstellung der Seriale in Gießen: Julian Hansmann vom Hauptsponsor Netfall.tv und Festival-Co-Chef Dennis Albrecht (Foto: Ralf Hofacker)

Auf nach Hessen!

Richten wir den Blick gen Gießen. Dort veranstalteten Csongor Dobrotka und Dennis Albrecht, selbst Filme- und Serienmacher, am zurückliegenden Wochenende Die Seriale, das 1. IndieSerienFestival im deutschsprachigen Raum. Beide schafften es, innerhalb von vier Monaten ohne Erfahrung in dieser Hinsicht ein Festival aus dem Boden zu stampfen. Die Stadt Gießen unterstützte aus dem Kulturfonds, die Internetplattform Netfall.tv sponserte den mit 2.000 Euro dotierten Hauptpreis und das Kinocenter Gießen räumte prominente Programmplätze an Freitag und Samstag Abend frei. Die Macher hatten Monty Arnold für die Moderation gewonnen, das Team von Csongor Dobrotkas Dobago Filmproduktion arbeitete rund um die Uhr, um einen nahezu reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Gießen selbst präsentierte sich mit Traumwetter, was leider auch daran Schuld war, dass die eine oder andere Vorstellung etwas dünner besucht war.

Angenehm war es, für ein neues Festival mal nicht nach Berlin, München oder Köln kacheln oder gleich in Hamburg bleiben zu müssen. Gießen liegt schön mittig im Herzen der Republik und ist als Festivalstandort vergleichsweise unbeleckt. Auch, wenn die Wahl des Ortes eher von der Tatsache herrührt, dass Dobrotkas Firma Dobago hier sitzt. Die Seriale atmete an jeder Stelle echte Festivalatmosphäre, wer das überprüfen möchte sei an den stets präsenten Fotografen Ralf Hofacker verwiesen, hier geht’s zu dessen tollen Fotos vom Festival. Das Rahmenprogramm war überschaubar und deshalb gut gewählt. Neben dem Sektempfang zur Eröffnung am Freitag gab es noch ein herrlich durchmengtes Filmemacherfrühstück sowie eine Podiumsdiskussion am Samstag. Und natürlich die obligatorische Abschlussparty am selben Abend. Die Diskussion war mit acht Sprechern etwas überladen, die Inhalte waren ohnehin eher von Konsens geprägt.

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Entspannte Jurysitzung: Monty Arnold, Timo Landsiedel, Astrid Matron und Sebastian Simon (v.l.n.r) (Foto: Ralf Hochacker)

Vielfalt und Eigenständigkeit

Unsere Aufgabe als Jury war es, einen Sieger aus den 18 Wettbewerbsbeiträgen zu erwählen. Die Gruppe setzte sich aus vier Mitgliedern zusammen: Astrid Matron, Filmwissenschaftlerin, Monty Arnold, Sprachkünstler (und neuerdings Blogger!), Sebastian Simon, Bewegtbild-Experte, sowie schließlich der Verfasser dieser Zeilen. Schon bei der Vorsichtung fiel uns als Jury unabhängig voneinander auf, welche Bandbreite an Themen und Umsetzungsformen es unter den Beiträgen gab. Dystopische Western-Dramen, stilistisch ausgefeilte Mockumentaries, Science-Soaps, Kurzdoku-Porträts, Zeichentrick-Animationen und dazu die Klassiker Horror, Sci-Fi, Dramedy und reichlich Komödie in unterschiedlichen Ausformungen.

Die Produktionsqualität war hoch. Was mich aber besonders freute, war die Eigenständigkeit vieler Formate. Hier war größtenteils die Freiheit genutzt worden, keine Abhängigkeiten von Programmslots, Senderinteressen oder Auswertungsaussichten auf kommerziellen Netzplattformen zu haben. Ich persönlich habe mich bei keinem der Beiträge gelangweilt. Das ist mehr, als ich von vielen Kurzfilmfestivals sagen kann. Schlussendlich vergaben wir als Jury den Hauptpreis von 2.000 Euro an die Zeichentrick-Animation „Warum!“ von Stefan Vogt. Zudem sprachen wir zwei lobende Erwähnungen aus, zum einen für die Videoblog-Satire „Ivys Weg“ zum anderen für die surreale Horrorcomedy „Discocalypse“. Unsere Jurybegründung im Wortlaut bitte ich beim hochgeschätzen Kollegen Arnold in dessen Blog nachzulesen.

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Sieger der Seriale 2015: „WARUM!“ von Stefan Vogt. Hier mit der Folge „Warum mag jeder Würstchen?“ (Screenshot von www.vimeo.com)

Anspruch und Umsetzung

Ich werde hier nicht weiter auf die Vergabekriterien der Jury und das Procedere an sich eingehen. Jedoch möchte ich gerne meine persönlichen Anforderungen darlegen, mit denen ich nach Gießen aufbrach. Unabhängigkeit äußert sich für mich in zwei Aspekten, in der rein finanziellen Eigenproduktion sowie in der Eigenständigkeit der Idee, sowohl formal, als auch inhaltlich. Im Zweifel bewerte ich Letztere höher. Die reine Abwesenheit von Geld macht eine Serie noch nicht unabhängig. In meinen Augen gab es reichlich Beiträge, die eigen finanziert waren, sich aber an deutlichen Vorbildern abarbeiteten oder gar auf eine Kommerzialisierung ausgelegt waren.

Zudem müssen für mich der inhaltliche Anspruch und die formale Umsetzung Hand in Hand gehen. Hier muss es eine Entsprechung geben, im besten Falle greift die formale Ebene das Sujet auf, kommentiert oder konterkariert dieses. Hier wiederum bewerte ich Mut zum Anecken und eine interessante – vor allem visuelle – Erzählweise sehr hoch. Denn Neues kommt nur durchs Grenzen überschreiten. Und am Ende muss jeder Beitrag unterhalten. Bei 18 Teilnehmerserien fallen leider Favoriten auch unter den Tisch. Zwei meiner persönlichen Kandidaten für eine lobende Erwähnung möchte ich Euch gerne hier nochmal kurz ans Herz legen.

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Szene aus der dritten Folge „Kumbaya!“ namens „Deja Vu“ mit dessen Schöpfern und Produzenten Nick Bugenback und Sebastian Droschinski (Screenshot von www.vimeo.com)

Von Kirchen und Haien

In „Kumbaya!“ der beiden Hamburger Produzenten Nick Bugenback und Sebastian Droschinski gründen zwei Slacker aus Versehen eine höchst erfolgreiche Internetkirche, für die sie schnellstmöglich eine Sekretärin und einen Zimmermann brauchen. Der Handwerker heißt (nicht ganz) zufällig Jesus und verliebt sich in die Sekretärin, was aber alles nicht so einfach ist, wie es klingt. Wie viele Webserien braucht auch „Kumbaya!“ ein, zwei Folgen, bis sie in Fahrt kommt. Dann jedoch hat jede Figur ihre kleine Substory, die Kamera findet schöne, unprätentiöse Bilder und bringt das eher langweilige Hauptmotiv, eine Wohnzimmercouch, zum Funktionieren. Die Geschichte ist absurd, die Gags sind gut platziert und vor allem sind die Figuren höchst liebenswürdig. Zudem braucht „Kumbaya!“ nicht ständig Musikuntermalung und wagt auch mal dialoglosen Slapstick. Die Serie bringt es auf neun Teile und ist, was ich den Machern hoch anrechne, abgeschlossen!

„Der viereckige Hai“ wagt etwas sehr Feines. Die Mockumentary macht an keiner Stelle wirklich deutlich, dass sie eine ist. Und oft können die Macher eines solchen Formats dann doch nicht widerstehen und bauen offensichtliche Brüche ein. Brüche gibt es auch hier genügend, die sind aber im Sujet begründet. Die Filmemacher Steffen Alberding und Kaspar van Treeck porträtieren die zweiköpfige Elektro-Trash-Band mit dem titelgebenden Namen. Dabei greifen sie auf der gestalterischen Ebene die musikalische Anarchie der Protagonisten auf und unterwerfen Schnitt, Motion-Design und auch die Dramaturgie dieser Prämisse. Was daran nun doch echt ist, wie die Auftritte auf dem Berliner A-Maze-Festival, und was nicht, wie Musik-Experten, die es nicht gibt, ist dann am Ende überhaupt nicht mehr wichtig.

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„Der viereckige Hai“ bei seiner Performance auf dem A Maze Festival in Folge 3: „Klavierunterricht & Löten“ (Screenshot von http://creative.arte.tv)

Charme hatten die Serien alle: Seien es die „DNA-Junkies“ von Martin-Oliver Czaja und Kim Seidler, die zwar Schwächen in ihrem Buch haben und meines Erachtens einfach das visuelle Medium viel zu wenig zum Erzählen nutzen, aber aus einem ernsten Hintergrund eine originelle Grundidee entwickeln und diese mit herrlich quer gecasteten Typen besetzen. Oder die österreichische „Fladeranten Schau“ von Louis-Jeremy Spieß und Sebastian Leitner, die im Doku-Stil auch die ältesten Einbrecherwitze durch hohe Schlagzahl und zwei schräge Darsteller unterhaltsam machen. Oder „Vivi & Denny“, eine Social-Network-Satire (übrigens von Marc Schießer, Regisseur des Genrenale-Hits „Au Pair“), die witzig geschrieben und schnell inszeniert ist, allerdings augenscheinlich für eine kommerzielle Youtube-Verwertung mit potentiellen Product Placements optimiert wurde. Hervorzuheben ist auch das immense Production Value einer Serie wie „MEM“ von Christian Stadach. Hier wird absolut überzeugend mit liebevoller Ausstattung, aufwändigem Sounddesign und visuellen Effekten eine dystopische Welt erzählt. Leider gerät auch hier die Erzählung etwas ins Hintertreffen, so dass es zeitweise etwas schwierig ist, der Handlung zu folgen.

Die Wettbewerbsteilnehmer der 1. Seriale 2015

Die Wettbewerbsteilnehmer der 1. Seriale 2015

Verantwortung übernehmen

Unbezahlbar an so einem Festival ist, dass sich die Filmemacher untereinander kennen lernen. Albrecht hatte es im vergangenen März in Hamburg bereits vorgemacht, als er an drei Tagen Serienmacher einlud und ihre Serien einem kleinen Publikum im Kino B-Movie auf dem Kiez vorstellte. So kann es weiter gehen. Auf Facebook rappelte an den ersten drei Tagen der Woche nach dem Festival ein munteres gegenseitiges Liken der Produktionen durch die Timelines. Wenn dem noch gemeinsame Vorführungen oder gar Cross-Promotions nachfolgen, hat das Festival über die reine Präsentation ein weiteres Puzzlestück geleistet, die nachhaltige Vernetzung der Macher untereinander.

Denn hier in Gießen war etwas spürbar, was man von Senderchefs, TV-Redakteuren und Produzenten schon fast nicht mehr kennt. Ein Sinn von Verantwortung der Branche und dem Markt gegenüber! Und der äußerte sich nicht in der Hybris hier die Zukunft des Fernsehens geschaffen zu haben, sondern einfach im berechtigten Stolz darauf, regelmäßig sechs oder zehn Minuten Kurzweil ins Netz zu hieven. Und damit nicht genug. Hier ist auch das Bewusstsein dafür da, dass Unabhängigkeit oft heißt, dass die Filmemacher und ihre Teams ohne Bezahlung arbeiten. In diesem Kontext nötigt es mir nur tiefen Respekt ab, wenn Filmemacherin Sharlene Anders die hohe Crowdfundingsumme ihre Projekts „Jeder ist mal dran“ damit erklärt, dass sie ihre Mitwirkenden vernünftig bezahlen wollte. Umso schöner ist es, dass beides am Ende erfolgreich war.

Fortsetzung folgt! Bitte!

Unterm Strich also kann man sich jetzt schon auf die nächste Ausgabe des Festivals freuen. Laut Dennis Albrecht haben die Veranstalter bereits mehr als eine handvoll Einreichungen für das nächste Jahr vorliegen. Die eine oder andere Sache ließe sich auch am Ablauf noch optimieren. Leider war es aus Zeitgründen nicht möglich, die Filmemacher direkt nach ihren Filmen kurz zu interviewen, dabei waren doch so viele von ihnen tatsächlich angereist. Hier könnte es helfen, die Präsentationsblöcke von rund 90 Minuten auf etwa 60 zu verkürzen und daraus resultierend auch mehr Blöcke zu haben.

Eröffnung im Rathaus durch die Oberbürgermeisterin, Vorstellungen 1+2 am Freitag

Die Festivalleitung und ihre Förderer der Stadt Gießen: Dennis Albrecht und Csongor Dobrotka sowie Bürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz und Annette Eidmann vom Kulturamt Gießen. (Foto: Ralf Hofacker)

Auch fand ich es schade, dass einige der Serien, vielleicht auch auf Anstoß der Veranstalter hin, als Zusammenschnitte bei der Kinovorführung liefen. Die Seriale ist ja ein Serienfestival, also finde ich es zur korrekten Beurteilung durch das Publikum zumutbar, auch zwei, drei Serienfolgen mit wiederkehrendem Vor- und Abspann zu gucken. Hier tritt noch eine weitere, heikle Besonderheit zutage. Bei einigen der Serien lag nur der erste Teil oder Pilot vor. Serielles Erzählen fängt aber, streng genommen, erst ab der zweiten vorliegenden Folge an. Hier könnte ich mir gut vorstellen, dass im kommenden Jahr eine Art Pitching-Veranstaltung mit Piloten, Proof-Of-Concepts oder gar Crowdfunding-Kampagnen eine schöne Ergänzung darstellen könnte. Der Vorteil ist, dass die Projekte – obwohl noch nicht „fertig“ – dennoch aufs Festival eingeladen werden könnten und so dem Interessierten (Fach-)Publikum vorgestellt werden. Der Wettbewerb bliebe dann den Serien mit mindestens zwei Folgen vorbehalten.

Ich möchte das nicht als Nörgeln auf hohem Niveau verstanden wissen! Es täuscht rein gar nichts darüber hinweg, dass die erste Ausgabe der Seriale ein erstklassiges Event war, dass zweifelsfrei eine Fortsetzung verdient hat. Ein explizites Indie-Serien-Festival hat bisher in der deutschen Kulturlandschaft gefehlt. Alle 18 Beiträge haben bewiesen, dass es weder an Ideen, noch am Durchsetzungswillen mangelt. Insofern: Wir sehen uns im nächsten Jahr in Gießen!

In den kommenden Wochen werde ich hier im Blog über die Entstehung von einer handvoll der Serien berichten. Bleibt dran!

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