Die Kurzfilme der Genrenale3 – Die Block-5-Review
Es ist wieder soweit: Genre-Reviews Ahoi! Kommt zum vorletzten Mal mit mir auf die Genrenale und lasst uns gemeinsam einen Blick auf vier der Kurzfilme des zweiten Festivaltags werfen. Hier geht es um die 11:30-Uhr-Vorstellung vom 12. Februar.
Nicht wenige der Festivalbesucher, mit denen ich nach der Veranstaltung sprach, zuckten bei der Erwähnung des ersten Blocks vom zweiten Tag mit den Schultern. Die Erklärung für ihr Verpassen dieser Vorstellung war nicht etwa Ignoranz oder Gleichgültigkeit, der Grund stand ihnen in Form von Augenringen ins Gesicht geschrieben. Die vergleichsweise frühe Vorstellung war einfach zu nah am späten Ende der Genrenale-Slash-Radio-Silence-Party in der Volksbar gegenüber. Da den gelichteten Reihen nach zu urteilen ohnehin nicht wenige diesen Block verpasst haben, ist es umso wichtiger die vier Filme nochmal in den Fokus zu rücken. Denn auch hier gab es einiges zu entdecken.
Das fing gleich schon gut an. „Das Millionengrab“ von Thomas Oberlies und Sebastian Natto handelt von einer Gruppe Kriminalbeamter, die nicht nur gegen ein übermächtiges Verbrechersyndikat kämpfen, sondern auch gegen Verrat in den eigenen Reihen. „Das Millionengrab“ sind 24 Minuten, die ich so schnell nicht vergessen werde. Sämtliche Rollen des Filmes werden von Kindern und Jugendlichen gespielt. Und das ist ungewöhnlich. Denn hier handelt es sich um ein echtes Schulprojekt aus Hamburg. Die Medienpädagogen hatten die Schnauze voll von pädagogisch wertvollen Minifilmchen und machten einen – meines Erachtens – pädagogisch NOCH wertvolleren Actionkracher.
Genüsslich seziert das junge Team die absurde Welt der Erwachsenen, etwa, wenn sich das spätere Spezialistenteam in einem Anti-Gewalt-Seminar für Polizisten kennenlernt oder wenn das kriminelle Syndikat im Meeting die neuen Wachtumsraten der Verbrechens-Abteilungen vorstellt. Aber vor allem nimmt die Machart unzählige Genrekonventionen auf die Schippe. Da werden stilecht bei Kaffee und Donuts bierernst und inbrünstig Dialoge über Ex-Frauen geführt („Muss ja nicht gleich alles schlecht sein, was Deine Ex-Frau getan hat.“ – „Du bist ihr nie begegnet, oder?“). Und selbstverständlich fliegt hier viel – mit respektablen VFX umgesetzt – in die Luft.
Sicher kann man bemängeln, dass Konzept und Umsetzung von den erwachsenen Pädagogen kam. Doch der Film selbst lebt vor allem von der Ernsthaftigkeit, mit der die Jugendlichen ihre Rollen verkörpern, von deren staubtrockenem Humor und dem klasse Timing. Besonders aber hervorzuheben ist, dass sich der Film einen feuchten Kehricht um Political Correctness schert. Und gerade dadurch der oft weichgespülten TV- und Kino-Landschaft den Spiegel vorhält und so auch umso mehr zur Medienkompetenz der jungen Macher beiträgt. Ich fordere mehr Bildungsprojekte wie „Das Millionengrab“!
Dann folgt ein weiteres Kammerspiel. In „Wiederholungstäter“ von David Peichl lässt der Regisseur einmal mehr an diesen zwei Tagen Verhörenden und Verhörten aufeinander prallen. Ein junges Mädchen ist anscheinend verschwunden. Felix soll am Tatort gesehen worden sein, direkt gegenüber vom Polizeirevier, von dessen Hausmeister. Während der Beschuldigte seine Unschuld beteuert, wird langsam klar, worum es eigentlich geht. Der Regisseur und Autor spielt hier sehr geschickt mit der Erwartungshaltung des Zuschauers. Die Informationsvergabe löst er schön visuell und ergeht sich nicht in ellenlanger Exposition.
Auch die oft eher unschöne Situation zweier Menschen, die sich gegenüber sitzen, lösen Regisseur Peichl und Kameramann Moritz von Dungern sehr schön auf. Immer wieder bringen sie Dynamik und neue Perspektiven in die Szene und verknüpfen diese auch mit sinnvollen Zeitpunkten im Dialog. Hinzu kommt eine hervorragende Besetzung zweier auch visuell gegensätzlicher Typen, von denen besonders Hubert Burzcek als Verhörender eine tolle Vorstellung abliefert. Für einen Pointenfilm ist der 13-Minüter zwar eine Spur zu lang. Doch wie bei vielen seiner Genossen auf diesem Festival will man ihm das aufgrund seines unbestrittenen Unterhaltungswerts irgendwie nicht zur Last legen.
Mit „Autobahn“ von Marc Vogel nähert sich ein erneuter Vertreter des Mystery-Genres. Bei einer Pinkelpause auf einer nächtlichen Autofahrt vergisst Matthias seine Armbahnduhr auf einem einsamen Rastplatz. Als er sie wieder abholt, entdeckt er eine seltsame Prophezeihung auf der Klowand. Regisseur Vogel macht etwas hierzulande viel zu Seltenes. Er rückt einen alltäglichen Gegenstand in den Mittelpunkt des Films, füllt ihn mit Bedrohlichkeit und macht ihn so zum Träger des Mysteriösen. Das gelingt ihm und seinem Kameramann Stefan Sick auch sehr gut in ruhigen, manchmal fast statischen Bildern.
Im zweiten Teil hätte dem Film dann ein wenig mehr Verdichtung gut getan. Zwar kommt das Bedrückende sehr gut rüber, hätte aber sicher nochmal etwas mehr gesteigert werden können, wenn eine entsprechende, dramaturgische Fallhöhe etabliert worden wäre. Denn fehlt eine eindeutige, existentielle Bedrohung für den Protagonisten, besteht die Gefahr, dass der Zuschauer das Interesse an der Figur verliert. Und das wäre hier sehr schade, denn sowohl gestalterisch, als auch technisch werden hier die Mechaniken des Genres beherrscht. Jedenfalls hat der Film erreicht, dass mir Tage später ein Schauer über Rücken lief, als ich kurz vor halb Zwölf Uhr nachts einen flinken Blick auf die Uhr warf.
Nachdem es ein letztes Mal dunkel wurde im Saal des Babylon-Kinos, startete „Schlafwandler“ von Ricarda Axthelm. Immer wieder wacht Marc nachts auf, mitten in der Stadt auf offener Straße. Einzig ein Zettel mit einer Adresse scheint einen Hinweis zu geben, was es damit auf sich hat. Doch alles, was Marc zur Klärung versucht, scheint nur noch mehr Fragen aufzuwerfen. Als nicht mal sein Therapeut ihm weiterhelfen kann, greift er zu drastischen Mitteln. Ich gehöre beileibe nicht zu den Männer/Frauen-Vergleichern. Dennoch möchte ich an dieser Stelle kurz darauf aufmerksam machen, dass drei der konsequentesten und originellsten Stoffe der Genrenale 2015 von Regisseurinnen kamen.
Eine davon ist Ricarda Axthelm, die nicht nur Regie übernahmen, sondern auch das Drehbuch für den 30-Minüter schrieb. „Schlafwandler“ ist komplex, hat Tiefe, dadurch eine krasse Fallhöhe und ist vor allem zu Ende gedacht. Das merkt man an jeder Ecke. Hier wird nichts mysteriös angedeutet, was nicht auch einen Hintergrund in der Story hat. Bei vielen wird der Film daher schonmal in der Gunst vor einer Vielzahl der Filme von Christopher Nolan rangieren. (Die Diskussion bitte in den Kommentaren lostreten.)
Christoph Mory meistert die Reise von anfänglicher Verwirrung über Verzweiflung bis hin zur Entfremdung von sich selbst bravourös. Die Kameraarbeit von Felix Baermann findet stets den feinen Grat zwischen Andeuten und Preisgeben, ohne den Mystery nicht funktioniert. Und Axthelm inszeniert das ganze eher als Psychogramm, denn als Thriller. Und das ist fies. Denn sie enthält dem Zuschauer dadurch die leichten Momente vor, die beim Thriller den Ausgleich zur Spannung darstellen. Allerdings liegt, ähnlich dem zweiten Beitrag von der MHMK, auch das Problem von „Schlafwandler“ in seiner Länge und dem dramaturgischen Weg dorthin. Das Buch hätte sicher auch in 20 Minuten gepasst, auch wenn der Leidensweg Morys dann der Unerträglichkeit nahe gekommen wäre. Aber definitiv nichtsdestotrotz eine fette Anguck-Empfehlung!
Tja. Und dann sehen wir schon der unerbittlichen Tatsache entgegen, dass in der kommenden Woche bereits die sechste und damit letzte Kurzfilmgruppe auf meinen Richtblock gelegt wird. Auch unter diesen sechs Streifen, das nehme ich spoilermäßig schonmal vorweg, sind keine Totalausfälle. Im Gegenteil, es reihen sich nicht nur fünf komplett unterschiedliche Filme aneinander, sondern jeweils für sich auch unerwartete Vertreter ihres Genres. Freut Euch drauf!
- Seid Ihr meiner Meinung? Oder eher nicht meiner Meinung? Oder ganz und gar nicht meiner Meinung, verdammt nochmal, waserlaubtdersicheigentlich? Dann lasst uns in den Kommentaren diskutieren!