KurzfilmKino: „Attentat“ von Roman Meyer-Paulino
Ein Dialog am Kiosk. Schlimm ist das mit den Islamisten, schon wieder ein Attentat. Der arabisch wirkende Mann, der höflich Milch und Zigaretten kauft, wird argwöhnisch beäugt und sogar verhöhnt. Ob er denn überhaupt rauchen dürfe als Muslim. Er spart sich eine Antwort. Denn er weiß schon, dass er diese auf andere Art geben wird. Zuhause warten schon zwei Freunde. Und die Gruppe hat einen Plan. Einer, mit dem niemand rechnet.
Roman Meyer-Paulinos Film von 2013 spielt genüsslich mit Vorurteilen und Ressentiments. Das Thema ist aktueller denn je. Am 7. Januar 2015 stürmten zwei maskierte Männer die Redaktion des französischen Satireblatts Charlie Hebdo und erschossen zwölf anwesende Karikaturisten, unter ihnen der Chefredakteur. Noch bevor die erste Stunde nach dem Attentat verstrichen war, überschlugen sich die Medien mit Mutmaßungen, Spekulationen und vor allem Beschuldigungen. In den Folgetagen häuften sich Meldungen von Übergriffen auf Muslime, xenophobe Boulevard-Kommentare und überflüssige Pseudofragen in Talkshowthemen: „Gehört der Islam zu Deutschland?“. Die Schublade der Ressentiments stand erstaunlich schnell wieder weit offen. Und die klemmt seit 9/11 ohnehin gewaltig.
Genau diese Vorurteile nimmt Regisseur Meyer-Paulino und bastelt daraus einen kleinen, feinen Film. Der Anfang ist hervorragend gewählt, denn der Dialog über das jüngste Attentat startet auf einem Schwarzbild. Der Zuschauer sieht nicht wer spricht, welche Hautfarbe oder Herkunft die beiden haben, ja, nicht mal wo sie gerade sind. Erst mit dem Erscheinen von Hauptfigur Hisham erhalten wir ein Bild und damit eine Einordnung, die auch sofort das Thema des Filmes etabliert. Hisham wird gespielt von Ulas Kilic, der es fantastisch versteht, einerseits eine eindeutig sympathische Figur darzustellen und zugleich genug interpretatorischen Spielraum für den Zweifel des Zuschauers zu lassen.
Der Aufbau folgt dem klassischen Anschlagsthriller. Es wird deutlich, die planen was. Genug wird angedeutet und Vieles verrätselt. Man sieht die Verschwörer in Parallelmontage an die ihnen zugewiesenen Orte fahren. Die Handkamera unterstützt ihre Nervosität. Erst, wenn es an die Umsetzung des perfekt vorbereiteten Plans geht, wird das visuelle Konzept wieder statisch. Toll. Natürlich suggeriert der Regisseur, wenn er die Verschwörer beim Basteln an der Elektronik eines Apparates zeigt. Was können drei arabisch sprechende Männer schon bauen?
Manche Filme, die auf Vorurteile hinweisen wollen, schaffen das nicht, ohne selbst diese Klischees zu etablieren oder zu bedienen. Auch Meyer-Paulino spielt mit ihnen. Aber das Set-Up überlässt er seinen Nebenfiguren im Off-Dialog. Und selbst die sind nicht einfach tumbe Rechtskonservative. Wenn der Kioskbesitzer Harry davon erzählt, er habe seinem Nachbarn Ali eigentlich einen Job anbieten wollen, lasse das aber jetzt sein, dann ist das keine Einstellung eines Rechten, sondern die eines Verunsicherten.
Hier wird in wenigen Sätzen eigentlich eine komplexe Geschichte erzählt. Aber es ist eher die, wie weit es mit der Panikmache durch mediale Berichterstattung gekommen ist, als die von einem Rechtsruck in der Gesellschaft. Alle Figuren werden hier ernst genommen und nicht als einfache Abziehbilder dargestellt. Das ist echt gut gemacht! Gerade bei so einem schwierigen Thema.
Jetzt fragt sich jeder: Aber wie ist denn die Auflösung? Zieht er es durch? Planen sie etwas Schlimmes? Oder gerade nicht? Oder eben gerade doch? Wie der Schluss ankommt, das muss jeder beim Anschauen des Filmes für sich selbst klären. Jedenfalls hat Roman Meyer-Paulino eine eindeutige Botschaft: Toleranz reicht nicht! Sprecht miteinander!
Fazit: Großartiger Kurzfilm mit komplexen Figuren und einer eindeutigen Botschaft zur Kommunikation!
Jetzt hier anschauen:
Attentat (1080p) from CroosFilm Produktion on Vimeo.