INDIEgramm März EXTRA: Rodja Pavlik im Interview
Seit gestern informiert Euch hier Rodja Pavlik einmal im Monat im INDIEgramm über News aus der Indieszene. Zack! Und gleich gibt’s eine EXTRA-Ausgabe! Wer Rodja ist, und wie er über die Szene denkt, das erfahrt Ihr hier im Interview.
Der Journalist Rodja Pavlik kämpft seit 15 Jahren für die Wahrnehmung des vornehmlich deutschsprachigen Independentfilms. Den Anfang nahm es, als er bei Recherchen für einen Artikel in der österreichischen Filmzeitschrift „Celluloid“ auf den Musicalfilm „Faust“ stieß, der in kompletter Eigenregie und ohne Förderung entstanden war. Dass auf diese Weise ein Langfilm entstand, faszinierte ihn. Immer mehr Filme stöberte er auf und gründete schließlich die Filmrezensionsseite „HomeMovieCorner.com“, in der von 2001 bis 2006 Kurz- und Langfilme aller Genres rezensiert wurden. Pavlik war der erste, der in der stark einzelgängerisch geprägten Szene zur Vernetzung antrieb und dafür vor allem konsequent das Internet nutzte. Er war schließlich Mitbegründer der Vienna Independent Shorts (VIS) und schreibt heute auf seinem eigenen Blog „HomeMovieCorner„.
Im Februar sprach Christian Genzel vom Filmblog „Wilsons Dachboden“ mit Rodja über die Independentfilme, die Szene und alles seinen Filmerfahrungen. Christian ist ebenfalls Filmemacher und Autor. Er war so freundlich, mir zu gestatten, hier einen Auszug aus dem Interview wieder zu geben. Dafür schonmal Danke! Das vollständige Interview findet ihr bei ihm im Blog. Und wenn ihr schonmal da seid, schaut Euch dort ein bisschen um, er schreibt klasse Filmrezensionen zu Abgründigem, Arthouse-Klassikern oder auch aktuellem Mainstream – und zu noch viel mehr Themen.
Jetzt aber genug vorgestellt und eingeführt. Hier kommt das Interview:
Christian Genzel: Du trennst das ja gar nicht so genau, was Independent ist und was Großproduktion – da gibt es ja fließende Bereiche mittlerweile: Mit Förderung ist es schon nicht mehr ganz Independent und so. Aber wenn du jetzt das nimmst, was du als Independent-Film siehst: Was siehst du in den Filmen? Was kriegst du, was die anderen nicht machen – ob sie es nicht können oder nicht wollen?
Rodja Pavlik: Es spricht mich deswegen an, weil ich mir denke: Ah, okay, das könnte ich auch! Ich könnte ja auch ein Buch schreiben, und ich könnte auch mit Leuten einen Film drehen. Vor allem damals, Anfang der 2000er Jahre, habe ich ja sehr viele Leute kennengelernt, die quasi noch auf meinem Niveau waren. Wenn du heute „Independent-Film“ sagst, dann erwartet man sich schon ein bisschen Anspruch – vor allem die Leute von damals haben sich ja filmisch weiterentwickelt und wären heute viel, viel weiter. Es ist also vor allem dieses Selbstgemachte, wo die Leute sagen: Gut, ich hab‘ halt meinen Brotjob, aber der füllt mich nicht aus. Und davor habe ich einen Heidenrespekt. Das taugt mir einfach.
Von den Geschichten her ist es sehr unterschiedlich. Wenn man früher „Independent“ gesagt hat, war das Arthouse. Das trifft dann zum Beispiel bei so einer großen Produktionsfirma zu, die auch Independent-Labels führen – da haben sie so Blockbuster, TRANSFORMERS, und dann sagen sie: Wir haben da eine Beziehungskomödie, das machen wir dann halt auf Independent. In Deutschland und in Österreich ist Independent von den Geschichten her ein Mischmasch. Es gibt Leute, die sagen: Ich möchte meine Geschichte erzählen – oder es gibt Leute, die sagen: Das, was mir der deutsche Film bietet, ist mir zu wenig Hollywood, zu wenig Blockbuster, und ich möchte einen Backwood-Slasher oder so etwas drehen. Das ist vollkommen unterschiedlich. Von den Geschichten her würde ich es gar nicht mal so abhängig machen – mich interessiert vor allem meistens die Produktion. Wenn dann die Geschichte auch noch gut ist: (streckt begeistert zwei Daumen nach oben).
Wie ist das mit Enttäuschungen bei den Filmen? Der Independent-Filmer hat meistens nicht die Mittel, die andere haben, der Independent-Filmer hat auch manchmal nicht das Know-How, was Leute haben, die schon 20 Jahre lang den Job machen, oder die sich jemanden kaufen können, der das so machen kann.
Insofern ist es eigentlich niedriger angesetzt. Beim Independent-Film oder beim Amateurfilm gehe ich prinzipiell rein und sage mir: Ich schau’s mir einfach mal an. Und manchmal erwartet mich der reinste Trash – wenn der Trash für sich stimmig ist, passt das für mich perfekt. Es gibt aber auch Amateurfilme, die mich hellauf begeistern, weil ich mir denke: Wow, wie kommen die denn auf diese Idee? Oder wie haben sie das technisch umgesetzt?
Wenn ich zum Beispiel in STAR WARS 7 reingehe, was ich sicher machen werde, bin ich weitaus kritischer. Dann denke ich mir so: Ach, Gott, die CGI sind aber schon ziemlich schlecht, oder da hat man schlecht die Person raus geschnitten, oder Jar-Jar Binks ist ein absolut lächerliches Ding, oder was auch immer. Da bin ich viel, viel kritischer, als wenn ich mir einen Independent-Film anschaue. Weil ich eben beim Independent-Film reingehe, um mich zu informieren: Wie haben die das gemacht? Wenn die mir zum Beispiel versprechen, es kommt ein Monster aus dem Moor, dann möchte ich das sehen! Und wenn die dem Monster einfach nur eine grün angemalte Strumpfhose über das Gesicht ziehen und es funktioniert trotzdem, dann bin ich hellauf begeistert.
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Ich glaube, ein Knackpunkt an der Independent-Szene ist: – meine Frage wäre jetzt, ob du da zustimmen würdest – es ist eine Szene, aus der eigentlich jeder raus will. Weil die Leute nach dem streben, dass sie mehr kriegen. Wenn die Leute die Wahl hätten, ob sie Independent drehen für die geringen Mittel, die sie jetzt haben, oder ob sie vom Fernsehen alles bezahlt kriegen oder von einer großen Produktionsfirma, würden fast alle mit den großen Mitteln drehen. Ich glaube, die Leute sind Independent aus Zwang oder aus Verlegenheit.
Nein. Glaube ich nicht. Ich glaube, die Independent-Filmemacher wollen für ihre Arbeit Anerkennung, und sie wollen sicher auch Geld dafür haben, aber sie wollen vor allem ihre Geschichte erzählen. Zum Beispiel: Ich bin mir sicher, daß der Stefan Müller hofft, dass seine Filme irgendwann mal die Blockbuster in Österreich werden. Das hast du bei JENSEITS und bei TARTARUS auch sehr sehr stark gespürt. Aber er weiß jetzt, wie der Hase läuft, dass das mit dem Independent-Film so nicht zu machen sein wird. Deswegen glaube ich auch, daß er für sich entschieden hat, beruflich auch etwas mit Film zu machen – ich weiß jetzt nicht genau, was er macht, aber er dreht, glaube ich, Imagefilme und so – aber sein Herzblut selber hängt am Geschichtenerzählen. Und ich glaube, das kann ihm niemand wegnehmen. Das wird er weiterverfolgen, egal, ob er nun vom ORF oder von der Filmwirtschaft erkannt wird oder nicht.
Ich glaube, die meisten Filmemacher sind jetzt soweit – wenn du das vor 7 oder 8 Jahren gefragt hättest, dann hättest du sicher die Antwort bekommen: Ja, ich möchte von einer Filmfirma entdeckt werden. Das war auch in Deutschland so. Deswegen haben sie dann die Gegenbewegung zur Berlinale, die Genrenale, selber gegründet, weil sie genau gemerkt haben, die Produktionsfirmen wollen nicht das, was sie drehen wollen – deswegen müssen sie ihre eigene Plattform gründen.
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Wonach wählst du denn aus, worüber du schreibst?
Zeitfaktor. Das ist bei mir sehr oft mit Zeit verbunden. Ich würde weitaus mehr Rezensionen schreiben. Bei manchen Projekten ist es auch schwierig, weil die Leute nicht wissen, welche Informationen ich bräuchte. Es gibt einige, die haben Pressetexte, die wirklich pipifein sind, und dann gibt’s welche, die hauen dir 20 Seiten entgegen, wo du dann erstmal alles zusammensuchen musst. Und bei anderen musst du erstmal nachhaken, weil die dir nur 5 Zeilen geschrieben haben und du fragen musst: Wie hast du das denn finanziert? Ist das jetzt ein Independent-Film? Und so weiter.
Bei Sachen, wo ich mir denke, das ist außergewöhnlich, da möchte ich nachhaken, da kommt auch ein Interview – wie eben zum Beispiel das mit Stefan Müller oder mit den Mania Pictures, die jedes Jahr einen Spielfilm veröffentlichen, oder auch mit dem Flo Lackner, der einen Actionfilm gedreht hat hier in Österreich, was ja an und für sich unerhört ist. Wenn ich könnte, würde ich jeden Tag eine Geschichte raushauen – und das könnte ich auch vom Material her, das mir zufliegt.
Was wieder zeigt, wieviel die Leute machen in Österreich. Gibt es Projekte, über die du nicht schreiben willst? Bei denen du sagst, das ist dir wirklich zu blöd oder zu schlecht gemacht, oder wo du irgendwie Probleme hast?
Es kommt drauf an … im Prinzip nein. Wenn mir zum Beispiel jemand einen Pressetext schickt zu einem Film, den ich für fürchterlich halte, und der sagt, dass der Film in den Kinos startet, dann schreibe ich darüber. Es gibt zwei Arten der Berichterstattung bei mir: Es gibt die Rezension, die wertend ist, wo ich auf das Werk eingehe, und es gibt die Berichterstattung, wo ich möglichst neutral bin, wo ich kaum irgendetwas Negatives sage. Zum Beispiel beim Stefan Müller: Ich war kein Fan von JENSEITS und TARTARUS. Trotzdem habe ich über BIEST vorberichtet, bevor ich den Film gesehen habe – der mir dann letztendlich auch gefallen hat. Ich gebe ja den Filmemachern eine Chance. Es ist nicht so, dass ich sage: Ach Gott, der Film war so schlecht, ich werde mir nie wieder was von dem anschauen – nein, ich schaue prinzipiell alle Filme an, die ich bekommen kann.
Das ausführliche Interview gibt es bei Christian Genzel im Blog „Wilsons Dachboden„! Und hier geht es zu Rodjas persönlichem Blog „HomeMovieCorner“.