Wie Filmkämpfe gut aussehen

Es geht doch nichts über zwei Typen, die sich gegenseitig auf die Fresse hauen. Trotz aller digitaler Bilderwelten und visueller Effekte. Ich sprach mit Kampfchoreograf Ulrik Bruchholz, wie er hinkriegt, dass das im Film gut aussieht und vor allem sicher ist.

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Ulrik Brucholz (Mitte) probt mit Mathis Landwehr (rechts) und einem Teammitglied einen Fight für „Land of Giants“ (Foto: Krystof Zlatnik)

In epischer Breite und mit großem Krachen überbieten sich die Major Studios in den letzten Jahren in den Zerstörungsorgien ihrer Sommerblockbuster. Da bleibt kein virtueller Stein auf dem anderen. Oft stammen auch die Protagonisten, wie in den Transformers-Filmen gänzlich aus der nimmer endenden Schatulle digitaler Schöpfungen. Das ist alles zackig inszeniert und fesselt aufgrund der aufgefahrenen Schauwerte. Aber es bleibt wenig mit dem man sich wirklich identifiziert. Dabei ist dafür gar nicht viel Aufwand nötig. Bei keiner Szene fiebern wir nämlich als Zuschauer so mit, wie bei einem Zweikampf mit den Fäusten.

Ulrick Bruchholz ist das bewusst. Dafür wird er ans Set geholt. Seit 2003 ist er als Stuntman und Kampfchoreograf bei deutschen Action-Serien und Indiefilmen dabei. Das Actionfieber packte ihn Ende der 1980er nach einer „Langen Kung-Fu-Nacht“ im ZDF. Nach dem Fall der Mauer profitierte er von den überall aus dem Boden schießenden Videotheken und deren sehr laxer Auslegung der FSK-Richtlinien bei der Ausleihe der von ihm präferierten Filme von Bruce Lee und Jackie Chan. Sein Berufswunsch war klar, der Weg dorthin noch nicht.

Erste Kämpfe auf Hi-8

In den Folgejahren drehte er mit dem Hi-8-Videocamcorder seiner Mutter immer wieder kleine Kampfszenen und Kurzfilme. Er suchte sich einen Kampfsportverein, blieb aber bis auf eine dreijährige Karate-Ausbildung zu Oberstufenzeiten selten länger dort. Heute weiß Bruchholz, warum: “Der Unterschied vom realen Kampfsport zum Kampf im Film war mir damals zu groß. Der Sport hat nicht die Faszination ausgelöst, wie die – relativ unrealistischen – Kämpfe in Filmen.“ Durch die vielen Sportvereine jedoch lernte er unterschiedliche Stile kennen, was ihm heute wiederum bei der Arbeit hilft.

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Ulrik Bruchholz (links) bringt den Schauspielern Mathis Landwehr (Mitte) und Manon Kahle die Choreografie zum Kampf in „Land of Giants“ bei. Vorne rechts im Anschnitt: Regisseur Krystof Zlatnik. (Foto: Hannes Pastor)

Nach einer Mittelalter-Kampfszene für ein ARD-Magazin kam 2003 dann der erste professionelle Einsatz beim Indiefilm „Kampfansage“. Damals noch als Stuntkämpfer,  folgten alsbald Jobs als Stuntman, Stuntdouble, in der Stuntpreviz von „Cloud Atlas“ und immer wieder als Kampfchoreograf, letzteres in zwei Staffeln „Lasko – Die Faust Gottes“ für die Kölner Produktionsfirma Action Concept, im Teaser zum Independentfilm Land of Giants von Krystof Zlatnik.

Im Idealfall kommt Bruchholz schon in der Vorproduktion mit an Bord. So gab es bei „Lasko“ eine Vorlaufphase, in der er als Choreograf zusammen mit Hauptdarsteller Mathis Landwehr und Stunt Koordinator Ramazan Bulut den Stil des Kämpfers entwickelte. Für Bruchholz sind zwei Dinge wichtig. Zum einen findet er heraus, was der Schauspieler leisten kann, einerseits von seiner körperlichen Erscheinung her, andererseits wie seine Kampffähigkeiten sind. Bei Landwehr war das einfach. Der Schauspieler war extra für die Rolle ausgewählt worden, weil er einen Kampfsport-Hintergrund hat. Die zweite Orientierung ist das Gespräch mit dem Regisseur. Der muss eine Richtung vorgeben, was er sich von der Figur erwartet. Sollen es harte, schnelle Kämpfe sein oder lieber fließende Bewegungen?

Parallele Proben

Der Laie mag jetzt denken: „Naja, die sollen sich halt hauen!“ So einfach ist es nicht. Stile wie den brasilianischen Kampftanz Capoeira auf das klassische Kung Fu der Shaolin-Mönche treffen zu lassen, mag im Konsolenspiel Tekken funktionieren. Auf der Leinwand wäre es ein Riesenaufwand in der Inszenierung, da beides perfekt beherrscht werden muss, damit es gut aussieht. Oft also werden für Kampfszenen in Film und Fernsehen eher einfache Kämpfe mit Schlägen und Blöcken inszeniert. Bei „Lasko“ war das schon aufwändiger. Bruchholz erläutert den Prozess: „Wir haben uns gefragt, was passt zur Figur Lasko? Was sieht bei ihm besonders gut aus? Was gab es im deutschen Fernsehen möglichst noch nicht zu sehen?“ Manchmal schaut der Regisseur auch vorbei und man bespricht sich.

Dann kommen die ersten Drehbücher und darin explizite Kampfszenen. Wo bei US-Produktionen wochenlang vorher geprobt werden kann, muss das in Deutschland fast parallel zum Dreh geschehen. Dafür erstellt Bruchholz eine Previzualization, also einen Testclip des Kampfes. Zunächst wird der für die Figur gefundene Stil auf die Szene angewendet. Wie würde er reagieren? Welche Waffen kommen in Frage? Hierfür entwickelt Bruchholz dann eine Kampfchoreografie, die auf die Fähigkeiten der Darsteller abgestimmt ist und in der Szene interessant und überraschend ist. Dafür jedoch braucht er genaue Kenntnisse über das Set. Hier kommt sein Chef ins Spiel, der Stunt Coordinator.

Im Falle von „Lasko“ war das Ramazan Bulut. Er koordiniert und plant die unterschiedlichen Stunts und ist dafür verantwortlich, dass alles sicher abläuft. Dafür hat er vorher das Set abgemessen und mögliche Gefahrenquellen für einen Kampf vor Ort ausfindig gemacht. Wo könnte es Probleme geben? Muss der Kampf auf einer Strickleiter in 12 Metern Höhe stattfinden? Aber er sucht am Set auch nach Möglichkeiten, den Kampf interessanter zu gestalten. Es hängen Zierschwerter an der Wand? Prima, können wir die einbauen? Auf Grundlage dieser Informationen kann Bruchholz dann tätig werden, denn er weiß, wieviel Platz da ist und welche Türen man anderen Kämpfern ins Gesicht hauen kann. Steht die grobe Choreografie, filmt Bruchholz den Testkampf einmal in der Totalen.

Das Video nimmt Bruchholz mit nach Hause und erstellt bereits eine Vorab-Auflösung der Szene. Dabei entscheidet er, wann kommt welche Kameraeinstellung zum Einsatz und teilt den Kampf in Teile auf. Diese Einstellungen sind Vorschläge von ihm, keine Richtlinie an den Kameramann. In diese Sinnabschnitte kann der Kampf am Set bei der Aufzeichnung aufgesplittet werden. Nur selten wird das in einem Rutsch aufgenommen. Dann dreht Bruchholz dieses Konzept in seinen Einzelteilen. Hierfür entstehen jetzt in der Sporthalle auch improvisierte Wände, Türen und besagte Requisiten, die später in den Kampf eingebaut werden.

Previz als Diskussionsgrundlage

Bei „Lasko“ waren die Requisiten manchmal vom Regisseur gewünscht oder stehen explizit im Buch, manchmal waren es auch Vorschläge von Bruchholz, Bulut und Landwehr. “Der Previz Clip ist bei Kampfszenen die Kommunikationsgrundlage zwischen dem Stuntteam, dem Regisseur und den anderen Departments“, erklärt Ulrik Bruchholz. „Es ist eine gefilmtes Storyboard, welches es einem ermöglicht den Kampf am Set schnellstmöglich abdrehen zu können.” Als Zeitrahmen für eine Kampfszene sind oft auch nur zwei, drei Stunden im Drehplan vorgesehen.

Bei der Erstellung der Previz-Clips kommt Bruchholz zu Gute, dass er seit über 20 Jahren selber Filme macht. „Ich wollte auch immer der Filmemacher sein. Kamera und Schnitt, das fand ich immer total faszinierend“, erinnert sich der Kampfchoreograf. „Da hatte ich eine Hi-8 Kamera, aber keinen Videorekorder, musste also in der Kamera direkt beim Drehen schneiden. Und so kam es, dass ich beim Machen gelernt habe, wie ein Kampf im Bild funktioniert.“ Ein häufiger Anfängerfehler bei Indiefilmern ist, dass die Kämpfer aus der Statik starten und am Ende der Bewegung einen Stopp einlegen. „Die sind mit dem Choreosegment fertig, wissen, es geht erst in der nächsten Einstellung weiter – dann hast du einen kurzes Warten. Und nach dem Umschnitt fangen sie in der nächsten Einstellung wieder an sich zu bewegen“, kritisiert er. Das ist seiner Meinung nach eine Erfahrungssache. Wenn Bruchholz die Segmente beim Drehen aufteilt, lässt er jeweils die Bewegung vor und nach dem relevanten Segement mit durchführen.

So kann er in der Bewegung den Schnitt platzieren. Dadurch wirkt die Bewegung flüssig. Auch schnelle, abgehackte Schnitte fügen sich so zu einem ganzen, weil der Zuschauer das Gefühl hat, einer durchgängigen Bewegung zu folgen. Zudem gibt es die Möglichkeit, hier Fehler zu vertuschen. Selbst krasse Anschlussfehler können so kaschiert werden: „Sogar, wenn es ein rechter Schwinger ist und im Umschnitt ist es ein linker Haken, das funktioniert!“ Nach dem Schnitt der Previz-Sequenz, gibt er diese an den Regisseur und bespricht sie nochmal ausführlich.

Auch wenn Bulut, Landwehr und Bruchholz große Freiheit bei „Lasko“ hatten und viel Eigenes in die Kämpfe einbringen konnten, betont Bruchholz, dass der Regisseur letztlich die künstlerische Kontrolle und damit auch die letzte Entscheidung hat. „Es geht dabei ja nicht darum, dass ich mich da selbst verwirkliche, sondern dass die Kampfszene in das Endprodukt rein passt. Im Idealfall gefällt es dem Regisseur und er setzt die Szene am Set ähnlich um. Wenn es ihm nicht gefällt, müssen wir nochmal neu probieren.“ Im ungünstigsten Fall versteht der Regisseur nicht, was die Stuntleute mit bestimmten Schnittentscheidungen gemeint haben. Das, so Bruchholz, müsse man dann akzeptieren. Aber ein kompletter Reinfall kommt selten vor. Dieser lässt sich dadurch vermeiden, dass die Produktion dem Choreografen oder dem Stunt Coordinator für die betreffende Kampfsequenz die Kampfregie überlässt. Internationale Produktionen leisten sich hierfür extra eine 2nd Unit. Bruchholz übernahm diese Rolle zum Beispiel beim Teaser-Kurzfilm „Das schwarze Auge“.

Sicherheit an erster Stelle

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Beim Dreh von „Hard Boiled Cop“: Mathis Landwehr, Regie-Assistent Daniel Späth und Ulrik Bruchholz. (Foto: Mandy Schaff)

Für eine saubere, sichere Stuntszene ist vor allem die Übung wichtig. Beide Kämpfer proben die Szene in einzelnen Abschnitten ein, erst langsam, dann immer schneller. Bis jeder im Schlaf mitbeten kann, wann welcher Schlag oder Tritt kommt. Protektoren werden auch manchmal bei Kampfszenen getragen. Aber nur dann, wenn die Alltagskleidung sie ausreichend kaschiert. Dann schützen sie ohnehin eher bei inszenierten Stürzen, denn Kontakt bei Tritten oder Schlägen gibt es nicht. Sicher geht auch mal einer durch und die Nase wird getroffen. Bruchholz‘ Erfahrung ist jedoch, dass das unrealistischer aussieht, als ein gefaketer Schlag. Für die Sicherheit kann es auch helfen, als Stuntteam den Kontakt zu anderen Gewerken zu suchen. So legten die Stuntleute für eine Kampfszene in „Lasko“ den Boden mit Matten aus und die Ausstattung ließ diese wie Steinboden aussehen.

Für die Zukunft wünscht sich Bruchholz, dass in Deutschland mehr actiongeladene Produktionen gemacht werden. Seiner Meinung nach ist das Knowhow vorhanden. „Es gibt auch tolle Kampfszenen, die ein düsteres Drama unterstützen können. Es muss nicht gleich alles nach Honkong-Kino aussehen“, sagt der Kampfchoreograf. Das nächste Projekt mit Brucholz kommt am 29. Oktober in die deutschen Kinos. Am Set des Riesenwespen-Horrorfilms „Stung“ war er der Assistant Stunt Coordinator und agierte als Stunt Double von Filmikone Lance Henriksen. Für Bruchholz als großen Fan von 1980-Jahre Genrefilmen eine besondere Ehre.

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2 Antworten

  1. Ljudmila Bruchholz, Dr. sagt:

    Ein sehr guter Artikel. Man erfährt die größeren Zusammenhänge des Filmgeschäftes und wie sich kreative jüngere Leute mit wenig oder gar keinem Budget mit großer Leidenschaft in die Film-Arbeit einbringen. Mich erinnern deren Engagement an die Pioniere des Film; als Stummfilm-Protagonisten wie Buster Keaton Grandiöses leisteten.
    Nicht zuletzt freue ich mich, dass ein so kompetenter Autor die Fähigkeiten und Leistungen meines Sohnes gebührend würdigt. Seit frühster Kinheit macht Ulrik Filme. Sein erster Animationsfilm mit Match-Box Autos hat unsere Familie begeistert. Vor allem Ulriks Großmutter hat ihn unterstützt. Beide haben die Material Arts Filme gemeinsam gesehen, geliebt, und diskutiert. Seine Oma war sogar Ulriks Sparringpartner, als er 10 Jahre alt war. – Danke für diesen wunderbaren Text! Ich werde den Blog weiterverfolgen. Mich interessiert das Thema auch von Berufswegen.

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