Die Kurzfilme der Genrenale3 – Die-Block-3-Review
Genrenale, die Dritte! Das Genrefestival brachte im Februar 2015 an zwei Tagen 27 Kurzfilme aus Horror, Mystery, Sci-Fi oder Thriller auf die Leinwand. Mittwochs lasse ich die Werke hier im Blog Revue passieren. Den 16-Uhr-Block vom 11.02. erwischt es heute. Wird es weh tun?
Ich liebe Kurzfilmfestivals. Das Licht erlischt, ich sitze im Dunkeln und es ergreift mich die Vorfreude, dass hier gleich um die anderthalb Stunden Kunsthäppchen auf mich einprasseln werden. Und diese Unkenntnis dessen, was kommen mag, das liebe ich. Das ist wie eine Palette Überraschungseier aufmachen. Äh, also, nicht, dass ich das heute noch machen würde. Kein Kurzfilmprogramm hat mich je so völlig unzufrieden zurückgelassen wie ein schlechter Langfilm. Ein Highlight war immer darunter, ein Kleinod, dass die Durchwachsenheit des Rests vergessen ließ.
Diesbezüglich ist der heutige Block trotzdem eher untypisch. Denn er ist für mich persönlich der überraschendste und berührendste Block der Genrenale. Das liegt nicht mal am faszinierenden Serienprojekt „Spides“, das Rainer Matsutani mit seinem Autoren Mark Wachholz und Regiesseur Jörn Heitmann vorneweg vorstellte. Die Story rankt sich um eine Gruppe Videoblogger, die einer Verschwörung um bizarre Spinnenkreaturen auf die Spur kommt. Aktuell sucht der Produzent nach internationalen Finanziers. Dafür kann man allen Beteiligten nur viel Erfolg wünschen. In diesem dritten Block nun erwarten uns vier Filme, die höchst eigensinnig und ideenreich jeder für sich den eigenen Genreaspekt auf neue Weise interpretieren. Aber ich Plappermaul greife wieder vor.
Stefan Kaufhold zerschrotet mit „Penthesilea“ gleich zu Anfang den Schlagbaum der so viel beschworenen Grenze zwischen Drama und Genre – hier Robot-Science-Fiction – zu sehr feinem Holzmehl. Der Titel ist gleichzeitig der Name der Hauptfigur und bezieht sich auf die gleichnamige griechische Sage, in der die Gefühle der Amazonenkönigin im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Gesetzen stehen. Sehr locker knüpft auch die Geschichte Kaufholds daran. Das Androidenmädchen Penthesilea verliebt sich in ihren Besitzer Jeremy. Beide wissen damit nur schwer umzugehen. Als noch die resolute Yukari beginnt, um Jeremy zu buhlen, ist das Gefühlschaos des Dreiergespanns perfekt.
Es gibt einfach wahnsinnig tolle Schauspieler in diesem Lande. Vom ersten Moment an schließt der Zuschauer Juli Klement als Penthesilea in sein Herz. Wo Brent Spiner in Star Trek: The Next Generation den Androiden Data in seinem Streben nach Menschlichkeit durch das ständige Oszillieren zwischen Rationalisierung und Imitation porträtierte, wählen Klement und ihr Regisseur die Sehnsucht als Hauptmotiv der Androidin. Auch dieser Film ist ein Beispiel für das ruhige Erzählen auf dem diesjährigen Festival. Die Science-Fiction-Elemente sind angenehm zurückhaltend eingesetzt. Der Regisseur verlässt sich auf das intensive, weil zurückgenommene Spiel seiner Hauptdarstellerin. In den minimalistisch komponierten Bildern von Kameramann Nicolai Mehring gerät das „In-der-Ecke-Stehen“ des Robotmädchens fast zur schmerzhaften Erfahrung für den Zuschauer. Ein intensiver Film, der dem „Menschliche Roboter“-Topos eine neue Seite abgewinnt.
Dann kommt einer der sicher nicht nur heimlichen Stars des Festivals. „Anti Cupido“ von Andreas Pakull wartet mit einer der originellsten Ideen auf, die das Festival zu bieten hatte. Ein Maskierter dringt des Nachts in das Haus einer Familie ein und zwingt die Eltern dazu, sich mit den Verfehlungen ihres Ehelebens auseinanderzusetzen. So weit, so torture porn. Pakull aber hat mitnichten die ewige Leier der Rache im Zielfernrohr. Er glaubt – ich wag’s gar nicht auszusprechen – an das Gute im Menschen. Sein Anti Cupido, stilsicher mit Armbrust ausgestattet, will in dem einander betrügenden Paar die Flamme der Leidenschaft neu erwecken.
Jetzt könnte man einwenden, mhm, vom Plot her müsste das kein Genre sein. Andreas Pakull allerdings nutzt klassische Genrekonventionen, um die Geschichte auszugestalten. Düstere Beleuchtung mit Rotstich, Silhouettenshots zur Verrätselung der Identität des Eindringlings sowie eine knackige, extrem aufwändige Introsequenz, in der Anti Cupido sein Vorhaben beleuchtet. Das ist technisch perfekt und zugleich perfide erzählt. Pakull wiegt den Zuschauer nicht in Sicherheit, man hat ständig das Gefühl, das dicke Ende käme noch. Stets droht die herzlich-bestimmte Art des in rotes Leder gekleideten Maskierten in Gewalt umzuschlagen. Pakull erfand das Subgenre des Feelgood-Torture-Porns und erhielt dafür zu Recht den „What the Fuck“-Preis der Genrenale-Jury. Umso erschütternder, dann hören zu müssen, dass der Regisseur kurz nach der Einreichung des Streifens im letzten Herbst verstarb.
Es ist eigentlich fast unfair, in dieser Gesellschaft „Leben“ von Duc-Thi Bui zu platzieren. Zwar macht auch er etwas sehr Eigenes, das kommt aber nicht so vordergründig daher, wie in den anderen drei Filmen. Zudem habe ich mich beim Gedanken erwischt, ob das alles sehr clever verschlüsselt ist oder einiges einfach purer Zufall. Ich wünsche mir Ersteres. Bui erzählt von einem kleinen Mädchen, das sein Dasein in der Einsamkeit fristen muss. Die Gründe werden nur angedeutet. Eines Nachts bricht ein junges Pärchen bei dem Kind ein, um das wohlhabend wirkende Haus auszurauben. Für die beiden ist die Kleine kein Hindernis, für das Mädchen ist das Paar jedoch eine besondere Chance.
In fast strengen Bildern von Buis Mitstreiter Moritz Esser, setzt dieser das kleine Mädchen stets in Bezug zur Architektur des kühl-modernen Hauses. Die Routine ihres Lebens wird ohne Dialog und mit sehr wenigen, filmischen Mitteln dargestellt. Das wirkt sehr clean, fast steril – und ist dadurch toll entgegen der gängigen Klischees inszeniert. Auch setzt Bui nicht auf Blutmassen, offensichtliche Schockeffekte oder düstere Klischees. Er bezieht seine Faszination aus dem Schrecken den die Diskrepanz zwischen vermeintlicher Unschuld eines Kindes und den – hier eher angedeuteten – Gräueltaten angeht. Eine filmische Umsetzung, die gespannt macht auf Weiteres aus den Händen Duc-Thi Buis. Auf dem Pitching-Event am 12.02. stellte er bereits einen möglichen Nachfolger „TRUE EVIL“ vor.
Und wer nach den drei Krachern glaubte, dass sich am Ende noch ein Mistfilm verbergen würde, wurde bitter enttäuscht. Mit „Au Pair“ von Marc Schießer folgt ein Film, der noch lange nachhallt. Die junge Französin Joline ist Au-Pair-Mädchen und kommt nach Deutschland, um hier im chinesischen Restaurant „Blue Dragon“ zu arbeiten. Schnell gerät sie mit ihrer Chefin aneinander, der undurchschaubaren Frau Zhou. Kann sie das Verhältnis kitten? Und was ist das düstere Geheimnis des Etablissements?
Ein Thriller lebt von dem Wechsel zwischen Spannung und Erleichterung. Marc Schießer schafft es in „Au Pair“, diesen Wechsel durch eine einzige Figur kontrollieren zu lassen. Seine Frau Zhou, grandios gespielt von Yvonne Yung Hee, ist eine der im Genre eher seltenen, starken Frauenrollen. Sie hat zu jeder Zeit den Laden in der Hand, hier tanzt alles nach der Pfeife der so zierlich wirkenden Frau. Traumhaft sicher bewegt sich Hee zwischen Höflichkeit sowie offener Zuneigung auf der einen Seite und unterkühlter Berechnung und Härte auf der anderen. Es wundert nicht, dass Yvonne Yung Hee hierfür den Genrenale-Preis der weiblichen „Killer Performance“ erhielt. Ihr gegenüber verkörpert Pia Slomczy glaubhaft den Weg der jungen Französin von anfänglicher Unsicherheit in der neuen Umgebung zur Verzweiflung im Angesicht des Schreckens.
Die wichtige, erotische Komponente zwischen den beiden Frauen ist hervorragend ausgewogen und droht nie ins Komische zu kippen. Männerrollen sind auf Stichwortgeber oder Lakaien reduziert, die zur Erfüllung sexueller Gefälligkeit da sind. Das wirkt aber nicht sexistisch, sondern ergibt im Spannungsfeld der Auseinandersetzung zwischen den Frauen absolut Sinn. Wenn Schießers Kameramann Oliver Freuwörth dann noch seine Aufnahmetechnik nicht zur genreüblichen Angeberei einsetzt, sondern gezielt zu dramaturgischen Zwecken, dann bleibt einfach nichts mehr zu wünschen übrig. So ging es mir zumindest beim Anblick der Kranfahrt zu Beginn, die im strömenden Regen langsam das Gesicht von Yvonne Yung Hee unter dem transparenten Regenschirm preisgibt. Chris Doyle hätte es für Wong Kar Wai nicht schöner machen können. Hammerfilm.
Nachzutragen bleibt mir dann noch, auf einen Silberstreif am Horizont hinzuweisen. Für alle, die diesen Block auf der Genrenale nicht sehen konnten und sich nach meinen Lobpreisungen jetzt aus Kummer entleiben wollen, gibt es Hoffnung. So lassen sich immerhin „Anti Cupido“ und „Au Pair“ gemeinsam auf der DVD „Shocking Shorts 2014“ käuflich erwerben. So ließe sich der Schmerz vielleicht etwas lindern. Allen, die die Filme schon kennen und sie trotzdem besitzen möchten, steht diese Option natürlich auch offen. Bis nächsten Mittwoch!
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