KurzfilmKino: „Wie hält man fest“ von Alexander Sobolla & Christian Genzel
Ein Pärchen in einem Fußgängertunnel. Wild gestikulierend redet sie auf ihn ein, dampft schließlich ab, er ist sauer. Das gleiche Pärchen trifft sich im Zug, sie hat eine Rocky-Schallplatte dabei, bietet ihm den Kopfhörer an. Er nimmt an. Die beiden, wie sie sich auf dem Sofa anschweigen. Die beiden, wie sie frisch verliebt im Park herum turteln. Er versucht sie zu erreichen. Sie heult auf der Parkbank.
Ich bin ja ein Freund von Dingen, über die man stolpern soll. Nein, ich stehe nicht auf Treppenstufen und sperriges Kinderspielzeug. Ich meine filmische Entscheidungen, die auf den ersten Blick dazu einladen, es sich einfach zu machen. Im Musikvideo „Wie hält man fest“ der österreichischen Indieband Betty’s Apartment haben die Regisseure Alexander Sobolla und Christian Genzel sich genau das getraut. Im ersten Moment wirkt es wie schnell dahin gerotzt. Und das auch noch schlecht. Wer genau hinsieht, merkt, dass dazu ein gehöriger Aufwand betrieben wurde.
Die Kamera verhält sich wackelig, verliert oft die Bildmitte, zoomt ein bisschen, springt dann in eine scheinbar unmotivierte Totale – wie eine zufällig anwesende Amateurkamera. Die Ästhetik erinnert sehr stark an Super-8-Aufnahmen oder die ersten Kompaktvideo-Tapes von Anfang der 90er. Über allem liegt zudem ein sehr authentischer VHS-Effekt, der verwaschene Farben, ausfransende Farbränder und Analogstörungen verursacht. Das ist sehr stimmig. Vor allem im Zusammenspiel mit dem Schnitt von Manuel Stolz, der auch eine sperrige Erzählweise wählt.
Musikvideos werden oft so gemacht, dass die filmischen Erzählung losgelöst von Song und Liedttext funktioniert. Hier gehen sie tatsächlich eine Symbiose ein. Das Lied kann logischerweise für sich stehen. Aber Sobolla und Genzel haben eine Bildwelt geschaffen, inhaltlich und vor allem formal, die mit dem Text thematisch korrespondiert, ohne diesen einfach zu bebildern. Als Basis dient hier der Titel „Wie hält man fest“, der das Thema auch der Beziehungsproblematik setzt. Dann aber lösen sich die beiden Macher schon von der stringenten Erzählung. Zu Beginn sehen wir eigentlich eine Trennungssituation, die sofort mit dem Moment gegen geschnitten wird, in dem sich das Pärchen kennen lernte. Durch diesen extremen Gegensatz schnallt aber der Zuschauer auch gleich, welches Konzept ihn jetzt erwartet. Clever.
Das könnte ermüdend sein, denn wir kennen Anfang und Ende der Geschichte. Doch hier kommt die Musik ins Spiel. Soballa und Genzel vertrauen auf die mesmerisierende Melodie der cleveren Synthiepop-Ballade von Betty’s Apartment. Ohne die Musik – probiert es aus – nervt das Bild enorm! Ich glaube, das ist Absicht! Denn die ruhige Kraft der Stimme von Leadsänger Christoph Schwarz und der Song, der trotz der minimalistischen Instrumentierung eine enorme epische Breite erreicht, halten die manchmal assoziative Bilderfolge zusammen. Diese ist aber auch alles andere als willkürlich. Sehr genau wechseln sich die Phasen des Glücks und der Entfremdung ab. Manchmal spielen die Macher auch damit, dass man zu Beginn einer Einstellung nicht weiß, ob sie zur Beziehung oder zur Trennung gehört.
Wenn man fatalistisch sein möchte, lässt sich die Metapher des VHS-Effekts natürlich prima auf die Beziehung anwenden, deren Abgenutztheit, Farblosigkeit irgendwann zur Gewohnheit geworden ist, weil es nichts besseres da draußen zu geben scheint. Gleichzeitig schient die Metapher die Frage aus dem Titel schon zu beantworten. Dass es nicht möglich ist, fest zu halten, dass alles irgendwann die Farbe verliert, die Tiefe, das flache Bild als Symbol für die Beziehung? Gut, das mag dann jeder für sich interpretieren. Genügend Ansatzpunkte dafür gibt es jedenfalls. Aus meiner Sicht ist „Wie hält man fest“ jedenfalls weitaus interessanter, als so viele gleichformatige Musikvideo-Kurzfilme, weil er etwas wagt und auf die Musik vertraut.
Fazit: Bemerkenswert mutig erzähltes Musikvideo, das formal etwas wagt und so Bild und Musik korrespondieren lässt!
JETZT hier ansehen:
Betty’s Apartment – Wie hält man fest from Christian Genzel on Vimeo.