KurzfilmKino: „Was bleibt“ von Daniel Jeseneg
Ein einsamer Storch überquert frühmorgens den Parkweg. Ein Freizeitakrobat versucht zwischen zwei Bäumen auf seinem Seil die Balance zu halten. Familien im Park, plärrender Kinder und einsame Jogger mit Kopfhörern. Leise surrend bewegt sich der elektrische Treppenlift auf den Fuß der Treppe zu. Willi Pfefferli sitzt darin und wartet geduldig darauf, bis das Gefährt mit einem kurzen Ruck zum Stehen kommt. Er blickt in die Kamera. Ja, sein Enkel ist immer noch da.
Im Studium kommt jeder Medienwissenschaftsstudent, so auch ich, mit Essayfilmen in Kontakt. Meist ist es ein kurzer Kontakt, den beide Seiten in überwiegend schlechter Erinnerung behalten und sich fortan unter Aufbringung hoher Energie aus dem Weg gehen. Auch ich hätte gerne 99 Prozent der Filme dieser Machart den jeweiligen Machern in den Zelluloid-Blechdosen krachend um die Ohren gehauen. Denn oft waren sie nicht von der Durchdringung des Gegenstands ihrer Auseinandersetzung geprägt, sondern von Prätentiosität und künstlerischer Gleichgültigkeit. Und jetzt empfehle ich Euch hier einen Essayfilm. Denn der hier ist anders.
Wie nähern sich zwei Generationen an, die mit höchst unterschiedlichen Wertesystemen aufgewachsen sind? Daniel Jeseneg hat einen beeindruckenden Dokumentarfilm, ja, einen Essayfilm über die Zufallsgemeinschaft Familie gemacht. Er hinterfragt dabei das Konstrukt, was wir alle als so selbstverständlich hinnehmen. Im Zentrum steht seine Beziehung zum Großvater, dessen Nähe er nach dem Tod der Großmutter sucht.
Die Bilder seines Kameramanns Timo Schaub sind schön komponiert und wirken zu Anfang fast zufällig. Erst im Laufe des Films und vor allem im Zusammenspiel mit dem tollen Schnitt von Annatina Stadler entfaltet sich ein wahrer Strauß an visuellen Metaphern. Die werden ergänzt durch den ruhigen Off-Kommentar, der in der ersten Person aus der Perspektive des Filmemachers erzählt und von Schauspieler Klaus Brömmelmeier gesprochen wird.
„Was bleibt“ ist ein stilles Werk, das Zeit zur Auseinandersetzung bietet. Der Filmemacher spricht offen und sehr ehrlich über die Ablehnung der Werte seiner Großeltern. Seine Erzählstimme wendet sich an und oft gegen seinen Großvater, zum Beispiel wenn er über alten Super-8-Aufnahmen dessen Inszenierung von Familienfotos seziert. Das tut er mit klarer Sprache und manchmal schmerzvoll zutreffend. Dagegen setzt Jeseneg Bilder vom Alltag, der Großvater am Wohnzimmertisch, Servietten faltend, sein Mittagessen für die Mikrowelle vorbereitend oder mit der Lupe beim Lesen der Zeitung.
Jeseneg wird nie sentimental, bleibt immer persönlich, wird bei aller Kritik nie distanziert. Er lässt keinen Zweifel daran, dass er dorthin gehört, dazu gehört, dass er genauso wurde, weil dies seine Vergangenheit ist. Gegen Ende zeigt er ein letztes Mal den jungen Mann auf dem Seil, doch das Bild ist so kardriert, dass man nur den wippenden Oberkörper mit den nach Gleichgewicht rudernden Armen sieht. Schließlich werden seine Bewegungen ruhiger, er findet seine Balance. Diesen Eindruck hat man auch, wenn Jeseneg zum Ende des Films erstmals ins Bild tritt und ein letztes Foto gemeinsam mit seinem Großvater schießt. Diesmal ist er es, der das intime Familienfoto inszeniert. Und er wirkt nicht traurig deswegen. Im Gegenteil.
Fazit: Ein beeindruckender, toll fotografierter Essayfilm mit klasse Montage und schonungsloser Stimme.