RTL-Serie „Deutschland 83“: Vorbild für Drehbuch-Autoren

Eine deutsche Serie, die internationales Format hat. Vor der deutschen Erstausstrahlung in die USA verkauft wird, dort anläuft und Lob einheimst. Von RTL produziert. Nein, das ist kein Traum. Das ist „Deutschland 83“. Was deutsche Serienautoren von der Erfolgsstory lernen können, darüber hält Dramaturg Oliver Schütte im Dezember ein Seminar für das Filmhaus Babelsberg. Ich sprach vorab mit ihm über Serie und Seminarinhalt.

Dramaturg und Autor Oliver Schütte widmet sich im Dezember der aktuellen Serie "Deutschland 83"

Dramaturg und Autor Oliver Schütte widmet sich im Seminar der ungewöhnlichen RTL-Serie „Deutschland 83“ (Foto: Timo Landsiedel)

Wird aktuell über vorbildliche Serien gesprochen, fallen viele amerikanische Namen. Auf Diskussionspanels mit öffentlich-rechtlicher Besetzung zaubern ebenjene Vertreter dann in einer Mischung aus Trotz und Stolz „Weissensee“ und den „Tatortreiniger“ hervor, die zweifelsohne toll, aber keinesfalls aktuelle Entwicklungen sind. In Zeiten, in denen der Druck seitens Amazon Instant Video, Netflix und sogar bald erstmals auch Sky wächst, ist dieses Verhalten kaum zu verstehen. Ausgerechnet RTL bog Anfang des Jahres mit einer Sensation um die Ecke. Der Kölner Sender, der sich nie ganz vom Schmuddelimage lösen konnte, woran Dieter Bohlen nicht ganz unschuldig ist, stellte auf der Berlinale eine Serie vor, die aufhorchen ließ. Auch die größten Ignoranten horchten spätestens dann auf, als „Deutschland ’83“ noch vor ihrer deutschen Erstausstrahlung in die USA verkauft wurde und dort auf Sundance TV Premiere hatte. Inklusive Lob von der New York Times.

Auch fürs Ausland spannend

In „Deutschland 83“ geht es um Moritz Stamm, der Anfang der 1980er als DDR-Spion in die westdeutsche Bundeswehr eingeschleust wird. Die Geschichte wird aus DDR-Perspektive erzählt, also aus der Erzählhaltung des späteren Verlierers. Eine ungwöhnliche Prämisse, denn hier wird mal nicht auf die bisherigen Dauerbrennerthemen der deutschen Geschichte gesetzt. „Das macht es sehr originell und ist sicher auch der Grund dafür, dass die Serie auch fürs Ausland spannend ist“, sagt Oliver Schütte. Der Dramaturg und Drehbuchautor arbeitete an zahlreichen Filmen sowie Serien mit, gibt Seminare und betreibt den „Stichwort: Drehbuch“-Podcast des Verbandes Deutscher Drehbuchautoren (VDD).

Am 26. November läuft auch hierzulande erstmals „Deutschland 83“ über die Bildschirme. Schütte bietet im Dezember im Filmhaus Babelsberg ein Seminar an, in dem er am aktuellen Beispiel der Serie herausarbeitet, wie dieser Erfolg zustande kommt. „Wir schauen ja sehr viel nach Amerika. Aber mal zu fragen: Wie läuft das eigentlich bei uns? Und was bedeutet das für uns?“, so Schütte. „Und das an einer Serie nachzuvollziehen, die gerade läuft, ganz aktuell am Puls der Zeit, das war der Hintergedanke.“

Schütte sieht die Eigenständigkeit zunächst in der Auswahl des historischen Stoffes und dessen Erzählperspektive. Die Hauptfigur ist keinesfalls ein strahlender Held. Analog zur Entwicklung in den US-Serien der letzten Jahre setzt man hier laut Schütte auf eine negative Hauptrolle: „Ein Maulwurf in der Bundeswehr. Ausgerechnet ihn zur Hauptfigur zu machen, ist das Besondere. Das ist ein Zugang, den die Serienmacher gewählt haben, der per se schon etwas Ungewöhnliches in der deutschen Serienlandschaft ist.“ Als Autor ist es nämlich eine Herausforderung, diese Figur für den Zuschauer zugänglich zu gestalten. „Die Frage des Seminars wird auch sein, wie haben die Autoren das bei ‚Deutschland 83‘ gemeistert“, so Oliver Schütte. „Wie haben sie es geschafft, dass man sich empathisch zu den Figuren verhält.“

Deutsche Geschichten mit deutscher Geschichte

Der Seminarleiter hält „Deutschland 83“ für den lebendigen Beweis, dass es hierzulande zudem möglich ist, mit deutscher Geschichte eine Serie zu erzählen, ohne dabei ständig in die USA zu schielen. Auch das ist eine Herausforderung, diese Geschichte auch aufleben zu lassen. Schütte wird sich mit den Teilnehmern dazu auch ansehen, wie die Serie auch visuell immer wieder diese Geschichte thematisiert, zum Beispiel über Originalmaterial oder auch mit Originalfiguren.

Die stilistische Orientierung auf die andere Seite des großen Teichs ist seiner Meinung nach den aktuellen Sehkonventionen geschuldet. Zum Beispiel geschieht das im Punkt der Spannungserzeugung, den man in unserem Krimiland in dieser Intensität nicht gewohnt ist. „Es ist dann auch interessant zu sehen, wie kann Spannung erzeugt werden? Und wie können Autoren im Buch immer noch einen drauf setzen und Gas geben.“

Hier gibt es dann immer wieder die Frage, warum tolle Serien in Amerika so zahlreich erblühen können. „Dass das amerikanische System so gut funktioniert, hat sehr viel damit zu tun, wie dort produziert wird. Beim Showrunner-Prinzip gibt es einen, der alles entscheidet, vom Drehbuch bis zur Kleidung der Figuren. Da gibt es nicht so viele Köche, die den Brei verderben“, sagt Oliver Schütte. Der Showrunner hat oft die Serie mit entwickelt und hängt selbst mit Geld drin. Allerdings wird diesem System auch von den Studios weitestgehend vertraut.

Mittlerweile ist dieses System noch dadurch erweitert worden, dass mit Unternehmen wie Netflix und Amazon die Loslösung von tatsächlichen Quoten begonnen hat. Es geht nicht mehr darum am Folgetag zu schauen, wieviele Zuschauer laut Hochrechnung eingeschaltet haben, wen man also von der definierten Zielgruppe erreichen konnte. Vielmehr geht es jetzt darum, neue Abonnenten zu finden, seine Zielgruppe zu erweitern, die sagt: „Die Serie ist cool, die auch … ach komm, ich hol‘ mir Netflix!“

Offenheit für Neues

Das Prinzip der Quoten ist ja auch hierzulande noch der Erfolgsmaßstab für TV-Produktionen. Hier kommt der Kölner Sender ins Spiel. „RTL sagt damit jetzt: Uns gibt es noch!“, erklärt Schütte. „Und zwar sehr breit gestreut, sogar in den Zielgruppen, die bisher dachten: ‚Naja, RTL, sowas guck ich mir nicht an.‘“ Das sieht Schütte als Vorteil für Autoren. Wer aktuell eine Serie entwickelt, die sich an „In aller Freundschaft“ oder „SOKO Leipzig“ orientiert, wird die immer noch gute Chancen haben, Interesse zu wecken. „Wenn mich das als Autor aber nicht interessiert, dann ist die Offenheit für etwas Neues nie so groß gewesen, wie jetzt.“

Hier setzt Schütte mit dem Seminar an, dass die Autoren auf diese neuen Wege vorbereiten soll. Vorerfahrungen im Schreiben sollten vorhanden sein, sei es als Drehbuchautor, Creative Producer oder gar als Schriftsteller. „Ich kann auch als Dramaturg ins Seminar gehen und sagen: ‚Ich will nie eine Serie schreiben, aber ich will wissen, wie ich eine gut betreuen kann‘.“ Das Timing wiederum könnte nicht besser sein: Am 26. November läuft „Deutschland 83“ erstmals auf RTL. Knapp zehn Tage später, am 5. und 6. Dezember 2015, findet das Seminar im Filmhaus Babelsberg in Potsdam statt. Plätze gibt es noch laut Christian Mahler, der seit kurzem die Geschicke der Institution leitet. Wer sich bis zum 20.11. entscheidet, zahlt statt dem Vollpreis von 240 Euro nur 190 Euro. Und wer da schon im Winterurlaub weilt, sei auf den März 2016 verwiesen. Dann wird die Veranstaltung wiederholt.

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