Deutschland filmt sich selbst – Deutschland. Made By Germany

Heute ist es soweit. An diesem 20. Juni 2015 sind alle Deutschen dazu aufgerufen, diesen Tag per Video zu dokumentieren. Sönke Wortmann macht dann daraus einen abendfüllenden Film, eine Art Riesenselfie fürs Kino. Warum „Deutschland. Mady By Germany“ auch für Indie-Filmemacher interessant ist und welcher technische Aufwand dahinter steckt, darüber sprach ich mit Daniel Ehrenberg, Producer des Projekts.

MadeBy_Presse_BeitragsbildGesichtscollagen in Deutschlandform schicken es in aufmunternden Imperativen von Plakatwänden und Litfaßsäulen: „Mach mit!“ Niemand Geringeres als Regisseur Sönke Wortmann ruft dazu auf, am heutigen Samstag, den 20. Juni mit Smartphone, filmender DSLR oder jedweden kamerähnlichen Geräts den Tag zu dokumentieren. „Deutschland. Made By Germany“ heißt das ganze und soll 24 Stunden in diesem Land dokumentieren. Von denen gedreht, die es hinterher auch ansehen müssen, den Bürgern. Klingt fast schon meta. Unter Federführung der Egoli Tossel Film entsteht dann ein Kinofilm, der eine Momentaufnahme sein soll, indem er Emotionen, Ängste und den Alltag dieses Landes in 90 Minuten einfängt.

„Aber warte Mal, das gab’s doch schon?“, höre ich Euch sagen. Richtig. Ridley Scott rief 2011 zu „Life in a Day“ auf. Am 24. Juli eben jenen Jahres drehten YouTube-User aus der ganzen Welt über 4.500 Stunden Videomaterial. Scott und Regisseur Kevin MacDonald schufen daraus einen 94-Minüter, der erstaunlich beeindruckend geriet. Es folgten Projekte in Groß-Brittannien, Japan und Italien. Alle Filme einte eine Unmittelbarkeit, das ungefilterte Miterleben und das Phänomen, wie die Weltgeschichte sich im Privaten spiegelt. Den dramaturgischen Bogen bekamen die Projekte unterschiedlich gut hin. Und jetzt sollen auch wir Deutschen ran. Ich sprach dazu mit Daniel Ehrenberg, der Producer des Projekts bei Egoli Tossel Film.

Statt „Germany in a day“, analog zu den bisherigen Projekten, heißt das Projekt „Deutschland. Made By Germany“. Ehrenberg betont, dass sich das nicht nur auf Deutsche bezieht: „Jeder, der an diesem Tag in Deutschland ist, darf mitmachen.“ Das Material muss nur hier entstehen. Das ermöglicht vor allem die spannende Perspektive, wie andere Nationalitäten uns sehen. Ebenfalls anders ist, dass der Hauptpartner diesmal nicht YouTube sein wird. Facebook übernimmt die Aufgabe, die Server für die immensen Datenmengen zur Verfügung zu stellen.

Seit mehreren Wochen bereits bereitet Producer Ehrenberg die Werbekampagne in der Öffentlichkeit vor. Das geschieht normalerweise erst zum Filmstart. „Das ist ja für uns als Filmproduktion etwas Neues, einerseits einen Film zu machen, für den es kein Drehbuch gibt, andererseits sich mit der Vermarktung des Filmes zu beschäftigen, bevor er gedreht wird“, sagt Ehrenberg. Im Vorfelde bestand ein Großteil seines Jobs vor allem darin, die vielen Partner zu koordinieren und deren Wünsche und Anforderungen mit dem Projekt in Einklang zu bringen.

Sönke Wortmann (Copyright: Mathias Bothor)

Künstlerische Leitung und Regie liegt bei Regisseur Sönke Wortmann, der schon mit „Deutschland – Ein Sommermärchen“ bewies, dass er dokumentarische Unmittelbarkeit schaffen kann (Foto: Mathias Bothor)

Denn das Projekt ist weit davon entfernt Independent zu sein. Medienpartner ist Bild, Facebook stellt Speicherplatz für die Filme zur Verfügung, Stroer sorgt für Werbeflächen in der ganzen Republik, Warner bringt das fertige Teil ins Kino und Avid sorgt für die Schnitt- und Logging-Plattform. Ehrenberg erläutert: „Das sind hauptsächlich Medienpartner, denn wir müssen viele Menschen erreichen. Je mehr Leute mitmachen, desto besser kann die Qualität des Films werden!“ Die Produktionsfirma erhofft sich etwa 100.000 Beiträge. Eine enorme Menge. „Da brauchst du eine irrsinnige Aufmerksamkeit. Die könnten wir ohne diese Partner nie alleine erreichen.“

Wenn man sich auf der Webseite zum Projekt durch die Anforderungen scrollt, fällt eines auf: Es gibt nahezu keine Einschränkungen, weder inhaltlich, noch formal. Die Themenwahl ist völlig frei. Ehrenberg ruft explizit auch Filmemacher auf, die sonst ihr Geld damit verdienen, Auftragsarbeiten auszuführen: „Wer heute Lust und die technischen Möglichkeiten hat, kann mitmachen. In der Wahl des Themas ist jeder völlig frei, das zu filmen, was ihm am Herzen liegt.“

Sogar die Aufnahmetechnik wird nicht vorgegeben. „Mittlerweile ist die technische Qualität jeder Handykamera so ausreichend, dass man damit auf eine Kinoleinwand gehen kann“, ist sich Ehrenberg sicher. „Immer vorausgesetzt, wir kriegen das Material in Originalqualität und nicht heftig komprimiert.“ Ob also in Full-HD, mit der ollen Mini-DV oder gar in einem analogen Format gedreht wird, ist gleich. Hauptsache ist, es ist authentisch. Sicherlich sieht das nicht aus wie ein Bild aus der Arri Alexa. „Aber das ist ja das Erstaunliche an den bisherigen Projekten, die funktionieren deswegen, weil sie unmittelbar berühren und einen so emotional packen, dass es nicht auffällt, dass die teilweise technisch nicht optimal sind.“

Zusätzlich hat ein Team von Rechercheuren in den letzten Wochen spannende Personen und Geschichten ausfindig gemacht, die darauf angesprochen wurden, ob sie sich für „Deutschland. Made By Germany“ filmen würden. Einige hatten nicht die Möglichkeit, das selbst zu übernehmen. Also sprach die Produktion befreundete Dokumentarfilmer oder Hobbyfilmer an, die diese Geschichten übernehmen. Hat dann ein Laie, der heute sein Handyvideo dreht überhaupt eine Chance, im fertigen Film zu sein? Ehrenberg nickt: „Wir erwarten, das den Großteil des Films immer noch die Einsendungen ausmachen werden. Die recherchierten Geschichten sind unser Rettungsnetz.“ Bei einem solchen Produktionsaufwand muss die Firma schlicht absichern, dass es einige Geschichten gibt, die als dramaturgische Anker durch den Film leiten können. Das wirklich spannende Material sieht auch der Producer in den Einsendungen der Teilnehmer: „Du hast etwas, was Du im normalen Dokumentarfilm nicht hast. Du kommst an Leute so nah ran, wie nie. Wenn die sich teilweise allein selbst filmen, ist das  sehr reizvoll. Beim Dokumentarfilm bist du sonst immer als dritte Instanz dabei. Das macht dann die emotionale Kraft des Materials aus.“

Heute wird gedreht, auch kann ab heute schon hochgeladen werden. Ab Dienstag sitzen 16 Logger an einer Avid MediaCentral Plattform. Herz der Hardware ist eine ISIS 5500 Primary-Engine, drei Media Composer-Schnittplätze sowie eine Interplay-Engine. Arri Media in Berlin übernimmt diese Postproduktion. Hier werden die einzelnen Filme und Clips mit Qualitätstags und einer Verschlagwortung versehen, sowie für den anschließenden Schnitt vorbereitet. Zunächst arbeiten die Logger mit Proxyfiles, um das Datenvolumen gering zu halten. Vier Cutter sitzen später an der Vorarbeit, damit schließlich Sönke Wortmann und Cutter Ueli Christen („Der Bewegte Mann“, „Die Welle“) den Film daraus schneiden können. Ein aufwändiges Grading, wie sonst im Kino üblich, findet nicht statt. Das hat zwei Gründe. Einerseits wird viel von dem Material aus Smartphones schon so stark komrimiert sein, dass sich größere Veränderungen sofort negativ auf die Qualität auswirken würden. Den zweiten Grund nennt Daniel Ehrenberg: „Wir wollen es ja gar nicht einheitlich haben! Es ist die Idee des Projekts, dass es heterogenes Material ist und das wollen wir gar nicht ausbügeln.“

Parallel erfolgt dann noch ein weiterer höchst aufwändiger Schritt. Jeder einzelne Clip, der am Ende im Film landet, muss nochmal darauf überprüft werden, ob alle Rechteerklärungen vorliegen. Also ob jeder, der im Film auftaucht eine Rechteabtretung unterschrieben hat, bei Kindern müssen dies die Erziehungsberechtigten leisten. Nur wo das der Fall ist, kann der Clip auch im Film landen. Ein hoher Aufwand, der aber absichert, dass es nicht später zu Schadenersatzforderungen kommt.

Ist auch dieser Schritt abgeschlossen, steht dann der Veröffentlichung nichts mehr im Wege. Den Produzenten ist wichtig, dass der Film eine richtige Kinoauswertung erfahren soll. Der Termin für die Kinopremiere steht bereits fest. Am 5. Mai 2016 kommt „Made By Germany“ in die Kinos. Wer so lange nicht warten möchte, kann sich schon Anfang Juli bei den Filmemachern über die technischen Hintergründe und den Stand des Projekts informieren. Anlässlich des Filmfests München wird in der Black Box im Gasteig an der Rosenheimer Straße am 2. Juli von 15 bis 16:30 Uhr ein Panel zum Thema der Arbeitsweise von „Deutschland. Made By Germany“ stattfinden. Producer Daniel Ehrenberg, Cutter Ueli Christen sowie Wolf Bosse, Chief Creative Officer bei Arri Media und der technische Berater Dominik Bollen werden von der Verarbeitung der Daten und dem Einsatz der Technik bei diesem Projekt berichten. Hier kann man sich schon zu dem Event anmelden.

Nachtrag 20.06.2015 16:33 Uhr: In einer früheren Version des Artikels wurde der Eindruck erweckt, dass frühere Projekte keine Kinoauswertung hatten. Doch auch einige dieser Projekte liefen im Kino. Die betreffende Stelle ist gelöscht.

Offenlegung: Der Autor dieses Artikel ist seit 15 Jahren mit Producer Daniel Ehrenberg freundschaftlich verbunden.

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Eine Antwort

  1. Thomas Borchardt sagt:

    Moin, mein Film den ich eingeschickt habe heißt:“ Ein Tag mit meiner Mutter“.
    danke das ich dabei sein durfte! Mir kam die Idee meine 90 jährige Mutter einen Tag lang mit der Kamera zu begleiten. Wir gingen zuerst zum Wochenmarkt wo sie 3/8 Pfund „Beafsteakhack“ bestellte…Dann ab zum Inder – essen. Danach wurde es echt dokumentarisch. Ihre Geschichten berührten mich. Sei es wie sie von Ihrem ersten Mann und dessen Familie behandelt wurde, sei es wie sie einen Portugiesen aus der Gefangenschaft in Mozambique befreite. Es war jedenfalls ein toller Tag! Es zeigt jungen Menschen das auch „Alte“ ein abenteuerliches Leben hatten..
    Liebe Grüße!
    Thomas Borchardt
    P.s. Schade, das das Hochladen meines Films nicht geklappt hatte. Nun sind nicht nur unsere Hunde rausgeschnitten sondern auch die meisten Wackel Scenen;)

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